Zwischen Hoffnung und Angst

New York Imbolo Mbue Das getraeumte Land Buecherherbst Buecherblog Kiwi RezensionDass Donald Trump einem illegal immigrierten, dunkelhäutigen Paar in einem seiner Hotels persönlich ein Steak brät, klingt aus heutiger Sicht genauso hanebüchen wie die Besiedelung des Jupiters. Der Wunsch von Neni Jonga, eine der Hauptcharaktere in Imbolo Mbues Das geträumte Land, der rund um die 2010er Jahre spielt, kommt im Roman als eine lustige, etwas abstrus klingende Idee daher. Zu dieser Zeit ist die Vereidigung Trumps als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika noch das, was es eigentlich hätte bleiben sollen: eine abwegige Vorstellung. Damals war Trump lediglich TV-Entertainer und Milliardär, der auch gerne mal als Witzfigur für absurde Ideen hergenommen wurde. Eine Witzfigur ist Trump durchaus auch heute noch, allerdings kann kaum ein Mensch mehr über seine (wirren) Äußerungen und Handlungen lachen. In Mbues Roman bleibt Trump eine Randfigur, die einzig kurze Erwähnung findet; genauso wie Barack Obama, dessen Stern gerade aufgeht.

Politik steht zwar nicht direkt im Vordergrund, nimmt indirekt aber eine zentrale Rolle ein: Das geträumte Land handelt von der Immigration in die USA sowie dem Kollaps des US-amerikanischen Finanzsystems – beides politische Themen von immenser Bedeutung. Jende Jonga stammt aus einem ärmlichen Dorf in Kamerun. Durch Kontakte zu Verwandten, die in den USA leben, reist er 2007 ein in eine für ihn fremde Welt. Ihn treibt die Hoffnung auf ein besseres Leben, für sich und seine Familie: „’Ich danke Gott und ich glaube, […] irgendwann werde ich hier ein gutes Leben haben. Meine Eltern werden in Kamerun ein gutes Leben haben. Und mein Sohn wird aufwachsen und jemand sein, wird sein, was er sein will, egal, was das ist. Ich glaube, wenn einer Amerikaner ist, ist alles möglich.’“

Imbolo Mbue Das geträumte Land Bücherherbst Bücherblog Kiwi RezensionZugleich lässt ihn die Unsicherheit und Angst vor einer Abschiebung nie ruhen. Über Empfehlungen der kamerunischen Community findet er schnell einen Job als Chauffeur bei einem Investmentbanker von Lehman Brothers, Clark Edwards. Rund zwei Jahre später konnte Jende Jonga Frau und Sohn, Neni und Liomi, nachholen, er hatte ausreichend Geld verdient für ein Studentenvisa für seine Frau. Ab dem Moment der Wiedervereinigung der Familie ist ihre ursprüngliche Heimat Limbe für sie nur noch „irgendeine Kleinstadt, weit, weit weg, […] nicht mehr ihre geliebte Heimatstadt gewesen, sondern ein trostloser Ort“.

„Halte dich von Orten fern, wo du der Polizei über den Weg laufen könntest. Das ist ein Rat, den ich dir, aber auch allen anderen jungen schwarzen Männern in diesem Land gebe. Die Polizei ist zum Schutz der Weißen da, Brother. Manchmal vielleicht auch für schwarze Frauen und Kinder, aber nicht für schwarze Männer. Nie für schwarze Männer. Schwarze Männer und die Polizei, das ist wie Palmöl und Wasser.“

Freiheitsstatue Imbolo Mbue Das getraeumte Land Buecherherbst Buecherblog Kiwi RezensionAuch Neni Jonga bekommt eine Anstellung bei den Edwards, bei Clarks Frau Cindy. Es ist ein ständiges Aufeinanderprallen der Gegensätze: Während die Edwards zur reichen Manhattener Oberschicht zählen mit Sommerhaus in den Hamptons, führen die Jongas einen unaufhörlichen Überlebenskampf und wohnen in einer heruntergekommenen Wohnung in Harlem. Immer wieder kommen Jende Zweifel, ob sich der Kampf gegen die gläserne soziale Decke um den Aufstieg in der Gesellschaft lohnt – einzig für eine so flüchtige Erscheinung wie Glück. Denn als Jende Jongas Asylantrag endgültig abgelehnt wird, ist der Traum des dauerhaften Aufenthalts in den USA geplatzt. Zwar wollen die Jongas nicht aufgeben und gehen juristisch gegen die Asylablehnung vor, doch sie wissen, dass sie irgendwann das Land wieder verlassen müssen. Diese Unsicherheit lastet auf ihrem Alltag und bald auch auf ihrer Beziehung.

Die meisten Leute waren mit jemandem ihresgleichen zusammen. Selbst in New York, in diesem Schmelztiegel der verschiedensten Nationen und Kulturen, umgaben Männer und Frauen, Junge wie Alte, Arme und Reiche sich am liebsten mit Menschen, die waren wie sie, wenn es um die ging, die ihnen am nächsten standen.

Ihre Sorgen werden nochmals verstärkt, als sich abzeichnet, dass die Firma von Clark Edwards in schweres Fahrwasser gerät und eventuell den Bach runtergeht. Es ist ein spannendes gedankliches Experiment, an dem Autorin Imbolo Mbue den Leser teilhaben lässt. Denn dieser weiß bereits um das verhängnisvolle Ende von Edwards Arbeitgeber Lehman Brothers sowie die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die weltweite Wirtschaft. Als der Zusammenbruch der Firma besiegelt ist, stehen auch die Edwards vor dem Kollaps: Sie bangen um ihre Existenz, zumindest jene in der High Society, denn Clark Edwards einziger Lebensinhalt ist seine Arbeit; und Cindy driftet zur Alkoholikerin ab. Sie teilen also plötzlich die Ängste mit der Unterschicht der Gesellschaft.

Welche Alternativen das Leben bereit hält, zeigt ihnen ihr Sohn Vince auf: Er möchte lieber die Welt verbessern als im Reichtum seiner Eltern aufzuwachsen und viel Geld zu verdienen. Deshalb hängt er sein Jurastudium an den Nagel, um nach Indien auszuwandern. Es ist der gegenteilige Lebensentwurf zu dem, den seine Eltern für ihn vorgesehen hatten. Und trotzdem hat Clark Edwards in wenigen Momenten auch Respekt für die Entscheidung seines Sohnes: „’Genau genommen findet Cindy mich nicht wütend genug. Und das macht sie wütend, weil sie glaubt, ich würde ihn nicht genug lieben und hätte ihn irgendwie aufgegeben. Dabei bewundere ich ihn regelrecht. […] Als ich so alt war wie er jetzt, wollte ich genau dieses Leben, das ich heute führe. […] Aber ich verstehe, warum Vince es nicht will. Denn in diesen Tagen jetzt will ich es auch nicht. Dieser ganze Scheiß, der bei Lehman passiert, diese ganzen Sachen, die wir vor zwanzig Jahren niemals gemacht hätten, weil wir für etwas Großes standen, und jetzt wird dieser dreckige Scheiß zur Normalität.’“ Dabei gilt stets die Regel: Umso größer die persönliche Bedrängnis und Not, desto rasanter versagt der Charakter.

So ist auch Das geträumte Land ein Buch der Entgleisungen, von Erpressung und Machtdemonstration. Imbolo Mbue gibt den Lesern dabei ihren moralischen Leitfaden mit auf den Weg: Glück besteht aus mehr als Geld und Besitz: „’Wie soll einer merken, dass eins von seinen fünfzig Paar Schuhen plötzlich fehlt? […]‘ – ‚Plus weitere fünfzig oder hundert in ihrer Wohnung in Manhattan.‘ – ‚Da bin ich mir sicher.‘ – ‚Und sie ist trotzdem so unglücklich‘, sagte Betty mit einem Seufzen. ‚Geld bedeutet wirklich nichts.’“ Es ist ein Buch der Gegensätze, die sich unter den Extremen der Not näher sind, als man vermuten würde: Reichtum und Armut, Hoffnung und Angst, Erfolg und Scheitern, Glück und Enttäuschung. Diese Situation lässt aus Menschen unkontrollierte Wesen werden: „Zum ersten Mal in all den Jahren ihrer Beziehung hatte sie Angst, er könne sie schlagen. Vielleicht war es jetzt so weit. Aber wenn, würde sie wissen, dass das nicht ihr Jende war, der sie da schlug, sondern das armselige Wesen, das durch das zermürbende Leben als Migrant in Amerika aus ihm geworden war.“

Aber es sollte nur ein Aufflackern in einer lang anhaltenden Finsternis gewesen sein, ein trügerisch kurzes Nachlassen des Schmerzes einer vergifteten Verbindung. Acht Tage nach der Gala im Waldorf Astoria war in der Klatschpresse eine Geschichte zu lesen, nach deren Veröffentlichung sich der Schmetterling, zu dem ihre Ehe gerade erst geworden war, zurück in eine Raupe verwandelte.“

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