Unverzichtbares Zeugnis einer düsteren Zeit

Die Besetzung Norwegens durch deutsche Nazi-Truppen im April 1940 gilt als früher Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs, da sie die Alliierten zwang, ihre Strategie zu ändern und Norwegen nicht mehr als sicheren Hafen zu betrachten. Nazi-Deutschland nutzte Norwegen als Basis für verstärkte Angriffe auf die Alliierten, vor allem durch den Einsatz von U-Booten und Luftwaffenstützpunkten. Die Besetzung hatte auch politische Auswirkungen, da sie die Neutralität Norwegens verletzte und die Alliierten zwang, sich auf weitere deutsche Aggressionen vorzubereiten. Dies führte zu einer verstärkten militärischen Präsenz und Aktivität der Alliierten im Atlantik und in Skandinavien.

Mit der Neuausgabe von „Krieg in Norwegen“ anlässlich „90 Jahre Europa Verlag 1933-2023“ präsentiert der Verlag ein wichtiges autobiografisches Werk, das Willy Brandts bemerkenswerte Erfahrungen in Norwegen während des Zweiten Weltkriegs einfängt. Das 1942 im Europa Verlag Zürich erstveröffentlichte Buch bietet einen faszinierenden Einblick in Brandts Sicht auf die Ereignisse während der deutschen Besatzungszeit in Norwegen. Als Exilant, der später maßgeblich an der Entwicklung der deutsch-norwegischen Beziehungen beteiligt war, liefert Brandt mit seinen präzisen Beobachtungen und Beschreibungen des Besatzungsgeschehens und der Reaktionen der Alliierten ein bedeutendes historisches Dokument.

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An die eigene Magie glauben

Für den Kindergarten meines Sohnes habe ich an einem Gewinnspiel des Verlags arsedition teilgenommen – und ein bezauberndes Buch gewonnen: „Magie im Haar“, das Debüt der Tänzerin und Entertainerin Motsi Mabuse als Kinderbuchautorin.

Die Illustrationen von Diane Ewen sind einfach zauberhaft.

Und es ist eine berührende Geschichte: von Anele, die entdeckt, dass ihr Haar magische Kräfte hat. Das Buch lädt kleine Leser:innen dazu ein, mutig und stark zu sein. Es verbindet auf wundervolle Weise Fantasie und Selbstvertrauen und inspiriert Kinder, an ihre eigene Magie zu glauben. Es ist eine wirklich liebevolle Botschaft an alle Kinder, ihre Einzigartigkeit zu feiern und an ihre eigenen Fähigkeiten zu glauben.

Der Kindergarten hat sich riesig gefreut und ich durfte zum Vorlesen vorbeikommen. Die Kinder lieben die Geschichte von „Magie im Haar“.

Armut – mitten in unserer Gesellschaft

Obdachlosigkeit ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, über das kaum gesprochen wird. Noch seltener wird direkt mit den obdachlosen Menschen gesprochen. Das gängige Bild in der Öffentlichkeit ist, dass Obdachlosigkeit entweder selbstverschuldet ist oder sogar als eine Art selbstgewählter „Lebensstil“ romantisiert wird. Wie oft denken wir im Alltag über das Leben sozial benachteiligter oder wohnungsloser Menschen nach, wenn wir uns nicht selbst in einer prekären Lebenssituation befinden? Eher selten. Ist es möglich, sich ein realistisches Bild vom Leben auf der Straße zu machen? Wohl kaum.

Mit seinem Buch „Der Sandler“ möchte Markus Ostermair all diesen Menschen eine Stimme geben und der Öffentlichkeit zeigen, unter welchen Umständen sie ihr Leben meistern müssen. Nur wer mit obdachlosen Menschen in Kontakt gekommen ist, sei es während des Zivildienstes (wie der Autor des Buches) oder bei ehrenamtlichen Einrichtungen wie der „Tafel“ (wie der Autor dieses Textes), bekommt überhaupt ein Gefühl für die Situation, in der sich diese Menschen befinden.

Dieser Tag wird nichts Neues hervorbringen für Karl. Er wird den vielen Tagen davor gleichen wie eine Null der anderen. Trinken, essen, schlafen. Und hoffentlich ein Stuhlgang während der Öffnungszeiten.

Ostermair erzählt in mehreren parallelen Handlungssträngen vom Leben verschiedener Personen, im Mittelpunkt steht jedoch die Geschichte von Karl Maurer: Drittbester seines Jahrgangs, der erste in seiner Familie, der studiert hat, ehemaliger Lehrer mit einer bewegten Vergangenheit, die von einem Autounfall mit einem Jungen überschattet wird, der ihn aus der Bahn geworfen hat. Seine Frau Johanna hat ihn mit seiner Tochter Elisabeth verlassen, weil er regelmäßig getrunken hat.

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Wie fragil ist unsere Demokratie?

Die bundesweiten Großdemonstrationen für Demokratie haben für viel Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit gesorgt. Doch wie nachhaltig war der Protest auf der Straße? War es nur ein kurzes Aufflackern oder können sich dauerhaft gesellschaftliche Strukturen etablieren, die sich für Demokratie einsetzen? Im Alltag nehmen die wenigsten Menschen die Bedeutung der Demokratie wahr. Sie ist da und irgendwie selbstverständlich. Doch diese Haltung kann brandgefährlich sein. Die Demokratie ist derzeit massiv bedroht.

Deshalb stellt Harald Roth die zentrale Frage: Wie fragil ist unsere Demokratie? Insgesamt 33 Autor:innen, darunter bekannte Namen wie Andreas Voßkuhle, Marina Weisband, Henrich Bedford-Strohm, Navid Kermani und Heinrich August Winkler, hat er in seinem Sammelband „Verteidigt die Demokratie!“ zusammengeführt, die in kurzen Beiträgen die größten Herausforderungen darstellen, denen sich eine (wehrhafte) Demokratie zu stellen hat.

„Wir stehen vor großen Herausforderungen: Die Sprengkraft, die in der ungleichen Verteilung des Wohlstandes, der globalen Armut und der Migration liegt, ist nicht zu unterschätzen. Niemand soll ausgeschlossen werden. Ethnische Vielfalt und Demokratie dürfen in einer Einwanderungsgesellschaft keine Gegensätze darstellen; die Inklusion der Menschen, die nach Deutschland kommen und bleiben wollen, muss in einer weltoffenen Gesellschaft angestrebt werden.“

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Mein Lesemonat März

Neue Perspektiven standen im Mittelpunkt meines Lesemonats März. Es wurde wieder politisch, aber besonders beeindruckt hat mich ein Buch von meinem SuB, das Menschen eine Stimme gibt, die sonst selten im Fokus der Gesellschaft stehen, nämlich Obdachlose: „Der Sandler“.

Carolin Emcke – „Was wahr ist. Über Gewalt und Klima“: Ein faszinierender Einblick in die komplexe Natur der Wahrheit und des Erzählens in einer Welt, die zunehmend von Unsicherheit und Desinformation geprägt ist. [Rezension: Die Komplexität des Erzählens]

Christoph Quarch – „Den Geist Europas wecken“: Eine inspirierende und herausdordernde Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Idealen Europas sowie konkrete Vorschläge für die Zukunft des Kontinents. [Rezension: Für das vereinte Europa begeistern]

Markus Ostermair – „Der Sandler“: Obdachlosen Menschen eine Stimme geben und gleichzeitig dem Rest der Gesellschaft den Spiegel des Wegschauens und Nichtstuns vorhalten.

Daniel Marwecki – „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“: Ein detaillierter und analytischer Blick auf die deutsch-israelischen Beziehungen seit der Staatsgründung Israels und die Rolle Deutschlands im Nahostkonflikt. [Rezension: Freunde mit gewissen Vorzügen]

Marc-Uwe Kling – „Das Klugscheißerchen“: Eine witzige, herzerwärmende Geschichte über kleine und große Besserwisser mit zauberhaften Illustrationen.

Lize Spit – „Der ehrliche Finder“: Eine emotionale Geschichte, die aus kindlicher Perspektive ernste Themen wie Flucht, Freundschaft und die Bewältigung von Traumata aufgreift. [Rezension: Eine bewegende Freundschaft]

Eine bewegende Freundschaft

Es sind zwei Lebensgeschichten, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnte: Lize Spit entführt in ihrem Roman „Der ehrliche Finder“ in die Welt zweier Jungen, deren Lebenswege in den ersten Jahren völlig unterschiedlich verliefen, die das Schicksal aber zusammenführt und miteinander verbindet.

Tristan ist mit seinen Eltern und sieben Geschwistern vor dem Krieg aus dem Kosovo geflohen und lebt nun in beengten Verhältnissen in einer belgischen Gemeinde. Spit zeichnet ein einfühlsames Bild von Tristans Realität, in der Armut nicht nur Not bedeutet, sondern auch eine Quelle unerwarteter Abenteuer ist. Die Szene, in der Tristan den Raum voller Kissen als wahren Traum empfindet, lässt die Leser:innen innehalten und über die Bedeutung von Luxus nachdenken: „Der Raum war ein in Erfüllung gegangener Wunsch, eine Landebahn aus Kissen und Decken.“

In Belgien trifft er auf den Einzelgänger Jimmy. Dieser ist ein etwas besserwisserischer Junge, ein Nerd, der durch seine täglichen Streifzüge durch die Straßen auf der Suche nach besonderen Funden und seine Sammelleidenschaft auffällt. Die Beziehung zwischen Jimmy und Tristan entwickelt sich von einer zufälligen Begegnung in der Schule, wo Tristan Jimmys neuer Tischnachbar wird, zu einer tiefen Freundschaft.

„Die Tür zu Tristans Vergangenheit stand unbewacht offen, ein kleiner Schubs würde reichen, um einzutreten und in aller Ruhe herumzustöbern, doch etwas hielt Jimmy davon ab. Er musste warten, bis Tristan ihn zum Eintreten einlud.“

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Freunde mit gewissen Vorzügen

Die Rolle Deutschlands und das immer noch zu laute Schweigen der Bundesregierung zum aktuellen militärischen und humanitären Vorgehen Israels in Gaza werden zunehmend öffentlich kritisiert. Nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel stand die westliche Welt zunächst uneingeschränkt hinter dem israelischen Gegenschlag. Deutschland positionierte sich dabei als besonders verlässlicher Partner. Begründet wurde dies mit der besonderen – oder besser: besonders schlimmen – Vergangenheit Deutschlands im Verhältnis zu Israel und der daraus resultierenden Verpflichtung gegenüber dem israelischen Staat.

Doch woher kommt dieses Verhalten, das Angela Merkel bereits als „deutsche Staatsräson“ bezeichnet hat? Daniel Marweckis Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ bietet eine eindrucksvolle Analyse des komplexen Verhältnisses zwischen Deutschland und Israel, die durch ihre Mischung aus historischen Fakten und aktueller Relevanz besticht. Marwecki wirft ein kritisches Licht auf die „deutsche Staatsräson“, insbesondere im Hinblick auf die historische Entwicklung. Der Blick auf die Entstehung des deutsch-israelischen Verhältnisses zeigt: Es ist vor allem eine durch finanzielle und militärische Unterstützung erkaufte deutsche „Wiedergutmachung“. Und daraus resultiert die künstliche „Wiedergutwerdung der Deutschen“.

Das Buch beleuchtet ausführlich die beiden Hauptmotive für die deutsche Unterstützung: zum einen die Unterstützung aus moralischer Verpflichtung, zum anderen die Unterstützung als „Persilscheinpolitik“, um der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit zu entgehen, wie sie insbesondere von der AfD betrieben wird. Marwecki zeigt, wie diese beiden Aspekte miteinander verwoben sind und wie sie das deutsche Handeln in der Region beeinflussen. Dabei geht es in den Debatten immer auch um Deutschland selbst und die deutsche Identität.

„Vergeben und vergessen ist jedoch genau die Erwartung, die hinter dem grausamen deutschen Begriff der Wiedergutmachung steckt, dem Namen, den die Bundesrepublik dem Abkommen gab und der noch bis heute verwendet wird. Dieser schon oft kritisierte Begriff verübt symbolische Gewalt, er macht das Vergangene klein, weil er meint, es schon wieder gut, also wie ungeschehen machen zu können.“

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Für das vereinte Europa begeistern

Wir befinden uns an einem kritischen Punkt. Vielleicht steht sogar die Zukunft Europas auf dem Spiel. Die Europawahlen im Juni könnten eine historische Niederlage für die Demokratie bedeuten. An eine niedrige Wahlbeteiligung haben wir uns leider schon gewöhnt. Aber ein Wahlsieg von Rechtspopulisten, Rechtsnationalisten und Faschisten könnte das Fundament Europas grundlegend erschüttern.

Was wir brauchen: Aufbruchstimmung. Eine positive Erzählung. Oder wie der Philosoph Christoph Quarch in seinem Buch „Den Geist Europas wecken“ schreibt: „eine geistige Mitte, eine gemeinsame Vision von einem gemeinschaftlichen Leben“. Quarch nimmt die Leser:innen mit auf eine faszinierende Reise durch die Tiefen der europäischen Geschichte und Ideologie, bis ins historische Athen, während er gleichzeitig einen eindringlichen Appell für die Einheit des Kontinents und eine Erneuerung seines Geistes formuliert.

Es benötige einen Neuanfang, denn die Probleme der EU seien hausgemacht. Die logische Folge: ein massiver Vertrauensverlust in die Politik, die Institutionen und die Union insgesamt. Die Menschen interessieren sich bestenfalls nicht mehr für das europäische Projekt oder wenden sich gar ganz ab.

„Was Europa heute braucht, ist eine geistige Mitte, eine gemeinsame Vision von einem gemeinschaftlichen Leben – eine Vision, die so leuchtend und strahlend ist wie der delphische Gott Apollon, den die Griechen auch Phoibos nannten: den Leuchtenden. […] Ein robuster, resilienter und nachhaltiger Zusammenhalt wird nicht allein durch politische, ökonomische oder militärische Macht gestiftet, sondern durch das schwer greifbare Fluidum des Geistes.“

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Die Komplexität des Erzählens

Wer regelmäßig Faktenchecks von Netzwerken wie „Correctiv“ verfolgt, bemerkt eine zunehmende Häufung von Falschmeldungen und Deepfakes bzw. diesbezüglichen Richtigstellungen, insbesondere vor Wahlen oder zu anderen wichtigen Terminen. Die Bedeutung solcher Detailarbeit wird gesellschaftlich eher unterschätzt. Dabei ist eine Wirklichkeit, über die sich eine Gesellschaft verständigen kann, ein Kernelement unserer Demokratie. Das betont auch Carolin Emcke in ihrem neuen Buch „Was wahr ist. Über Gewalt und Klima“.

Darin setzt sie sich intensiv mit den aktuellen Herausforderungen der Informationslandschaft auseinander und betont, dass jede Nachricht auch überprüft, evaluiert und falsifiziert werden muss. Emckes Fokus auf faktenbasiertes Erzählen erweist sich in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, zwischen Wahrheit und Fake News zu unterscheiden, als dringend notwendiger Leitfaden. Ihre Betonung der kritischen Hinterfragung der Wahrheit und der Demut in diesem Prozess unterstreicht die Notwendigkeit einer ständigen Überprüfung und Bewertung der Informationen, denen wir ausgesetzt sind.

„Das Nachdenken über das, was wahr ist, ist eine stete Übung, ist nichts, was sich nur einmal fragen und erledigen ließe, das Nachdenken über das, was wahr ist, muss sich wiederholen, muss womöglich das, was einmal als wahr gelernt wurde, wieder betrachten, wieder vorlegen, wieder prüfen, wieder lernen.“

Darf man auch über schöne oder heitere Momente in Kriegsgebieten berichten? Selbstverständlich. Welchen Eindruck vermittelt man dadurch bei den Adressat:innen? Vermutlich einen problematischen, denn es folgt oft die Feststellung: „So schlimm ist es dort nicht, wenn die auch lachen und feiern“. Neben der diffizilen Unterscheidung zwischen wahrgenommener und faktischer Realität führe auch die Frage nach der Wahrnehmung des Erzählten durch Dritte zu einer Komplexität des Erzählens. Diese Interpretationen müsse die:der Erzähler:in immer mitdenken.

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Eine Welt zwischen Realität und Fiktion

Haruki Murakami, ein Meister der literarischen Surrealität, hat in seinem neuesten Werk „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ erneut die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt. Durch die Augen zweier verliebter Jugendlicher, die sich in ihre eigene Schöpfung zurückziehen, offenbart sich eine ebenso faszinierende wie beklemmende Welt. In einer namenlosen Stadt, die von einem namenlosen Fluss durchflossen und von dieser geheimnisvollen Mauer umschlossen wird, entführt uns der Autor in eine Welt, in der die Übergänge zwischen dem Greifbaren und dem Imaginären verschwimmen.

Während Murakami geschickt verlorene Liebe, Selbstfindung und die metaphysische Möglichkeit, Mauern zu überwinden, miteinander verwebt, drängt sich die Frage nach der Realität dieser Stadt und ihrer Bewohner auf. Die Mauer selbst dient nicht nur als physische Barriere, sondern spiegelt auch die inneren Konflikte und Zwänge der Menschen wider. Sie steht als Allegorie für die Schwierigkeit, die Grenzen zwischen verschiedenen Lebensbereichen zu überwinden, sei es aus Angst, Unsicherheit oder einem vermeintlichen Bedürfnis nach Isolation.

So wie sich die Arme des Flusses gleich einem verschlungenen Labyrinth tief in die Dunkelheit der Erde winden, so scheint sich auch die Wirklichkeit in uns zu verästeln. Verschiedene Realitäten vermischen sich, verschiedene Alternativen bilden ein Geflecht, aus dem wir unsere Wirklichkeit als Ganzes erschaffen – oder zumindest das, was wir dafür halten.

Die Bedeutung der Schatten, die im Laufe der Erzählung in den Mittelpunkt rückt, verstärkt das Rätselhafte der Handlung. Der Verlust der Schatten der Bewohner:innen innerhalb der Mauern wirft weitere Fragen auf, die in das undurchdringliche Gewebe von Murakamis Erzählung eingewoben sind. Der Schatten wird hier zum Symbol des Verborgenen, des Unbewussten und der Vergänglichkeit des Lebens, das in der Literatur oft als Metapher für die flüchtige Natur der Existenz dient.

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Mein Lesemonat Februar

Ein Blick zurück in eine düstere Zeit, eine Betrachtung des aktuellen Zustands Europas und unserer Gesellschaft. Außerdem eine wirklich tolle Kinderbuchreihe und zum Abschluss der Sound des Ruhrgebiets. Das war mein Lesemonat Februar.

Uwe Wittstock – „Marseille 1940“: Mit präziser, zugänglicher Sprache und lebhafter Erzählkunst wird eine dunkle Epoche wieder lebendig.

Von Bünau/Hückstädt (Hg.) – „95 Anschläge. Thesen für die Zukunft“: Etwas zugespitzt, manchmal emotional, wird eine wichtige Debatte über wesentliche Themen unserer Zeit angestoßen.

Verhofstadt/Cohn-Bendit – „Für Europa“: Ein Wegweiser für die Notwendigkeit, für ein geeintes Europa zu kämpfen.

Maria José Ferrada – „Kramp“: Voller kluger Erkenntnisse und Weisheiten, leicht schräg, humorvoll und sehr erfrischend.

Michael Wolffsohn – „Nie wieder? Schon wieder!“: Wichtiges Thema, leider teilweise zu undifferenziert betrachtet mit wenig Neuigkeitswert.

Frank Goosen – „Spiel ab!“: Herzliche Charaktere, kultig und immer mit dem passenden Soundtrack sowie absurden Dialogen.

Stephanie Schneider – „Grimm und Möhrchen“: Eine witzige Kinderbuchreihe über Freundschaft und gemeinsame Abenteuer mit wichtigen Lektionen.

Ein Leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Eine Zeit der Unterdrückung, Angst und Unsicherheit: Um 1940 hatten die Nationalsozialisten weite Teile Europas erobert. Sie übten ein brutales Regime aus. Ihr Vernichtungskrieg kannte keine Grenzen, die Verfolgung traf ethnische und religiöse Minderheiten, insbesondere Juden, sowie politisch Andersdenkende und Oppositionelle – nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hinaus. Uwe Wittstocks Buch „Marseille 1940 – Die große Flucht der Literatur“ erzählt eindringlich von jenen bedeutenden Schriftsteller:innen und Denker:innen, die in einem verzweifelten Versuch, dem tödlichen Zugriff des Naziregimes zu entkommen, Zuflucht in Frankreich suchten. Damit knüpft er – mit einem zeitlichen Sprung – an sein vorheriges Werk „Februar 33 – Der Winter der Literatur“ an.

Genau wie der amerikanische Journalist Varian Fry in das Geschehen stolpert, finden sich auch die Leser:innen zu Beginn des Buches unvermittelt mitten in der historischen Handlung wieder. Mit einer kurzen Rückblende ins Jahr 1935 setzt Uwe Wittstock den Rahmen für die späteren Ereignisse. Während die Nazis in Deutschland ihr Unwesen treiben, organisieren sich die Geflüchteten, um Widerstand zu leisten und Hilfe zu koordinieren. So berichtet Heinrich Mann seinem in Amerika lebenden Bruder Thomas vom Pariser Schriftstellerkongress 1935, auf dem „ein Zusammenschluss aller Nichtfaschisten gelungen“ sei. 

Auch nach dem Überfall Hitlers auf Polen bleibt die Hoffnung der Protagonisten zunächst bestehen, dass Frankreich dem Vormarsch Nazi-Deutschlands etwas entgegensetzen könne. Selbst nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich klammerten sie sich an die Hoffnung, die Franzosen würden die Besatzungsmacht zumindest nicht unterstützen. Doch angesichts der unaufhaltsam vorrückenden Wehrmacht und der ihr folgenden Gestapo gibt es keine dauerhaft sicheren Zufluchtsorte mehr.

Mit einer präzisen und zugänglichen Sprache sowie einer lebhaften Erzählkunst lässt er eine dunkle Epoche lebendig werden. Akribisch zeichnet er die Flucht prominenter Persönlichkeiten wie Hannah Arendt, Walter Benjamin, Anna Seghers, Heinrich und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Hertha Pauli und Walter Mehring nach. Immer wieder streut Wittstock geschickt kurze Passagen ein, die eine historische Einordnung der Gräueltaten der Wehrmacht auf ihrem Vormarsch durch das Nachbarland beleuchten. Er schafft eine dichte Atmosphäre, die die Bedrohung greifbar macht.

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Kontinent des Friedens und des Wohlstands

Im Juni stehen wieder Europawahlen an. In der Vergangenheit wurde den Wahlen des Europäischen Parlaments nur eine geringe Beachtung geschenkt. Für viele Menschen schien es unerheblich, ob sich eher konservative oder eher sozialdemokratische Kräfte durchsetzen. Doch das Blatt hat sich gewendet: Die Zeichen stehen auf Rechts, wenn man den Umfragen glauben darf.

Ein Grund mehr, sich die Bedeutung der Europäischen Union für Europa im Allgemeinen und für Deutschland im Besonderen immer wieder vor Augen zu führen. Deshalb habe ich noch einmal das Manifest „Für Europa“ von Daniel Cohn-Bendit und Guy Verhofstadt aus dem Regal geholt – ein Wegweiser für die Notwendigkeit, für ein geeintes Europa zu kämpfen und zu streiten.

Seit der Veröffentlichung des Buches vor zwölf Jahren haben sich die Rahmenbedingungen und Kontexte zweifellos verändert. Die Zeit war geprägt von der Eurokrise nach dem Zusammenbruch der Bank „Lehman Brothers“ und den daraus resultierenden Schuldenkrise einiger EU-Mitgliedsländer. Dennoch hat ein zentraler Satz des Manifests auch in einer sich ständig verändernden Akteurslandschaft nichts von seiner Relevanz verloren: „Wenn es darauf ankommt, bleibt die Europäische Union ein uneiniger Kontinent, in siebenundzwanzig Brocken aufgeteilt.“ Cohn-Bendit und Verhofstadt benennen klar die Verantwortlichen für dieses Dilemma: Die Mitgliedstaaten, die dazu neigen, ihre eigenen Egoismen über gemeinsame europäische Lösungen zu stellen. Statt als Förderer eines progressiven Europas zu agieren, werden sie zu Blockierern. Wenn Europa scheitert, tragen die Staaten die Verantwortung – und leider kann auch Deutschland mit seinen konservativen Interessen und seiner behäbigen Haltung von dieser Kritik nicht ausgenommen werden.

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Wer ist hier ein Antisemit?

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober letzten Jahres ist ein Wiederaufleben des Antisemitismus in der Gesellschaft spürbar. Möglicherweise war er nie wirklich verschwunden, sondern nur unterdrückt oder weniger sichtbar. Die jüngsten Demonstrationen in Deutschland, bei denen dutzende Menschen gegen Israel hetzten, sind für die meisten Menschen verstörend. Aber für Jüdinnen und Juden ist die Situation bedrohlich.

In seinem Essay „Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?“ setzt sich der Schweizer Autor Thomas Meyer mit dem alltäglichen Antisemitismus und dem Umgang mit eigenen antisemitischen Vorurteilen auseinander. Mit Ironie und einer feinen Prise Sprachwitz versucht Meyer auf durchaus humorvolle Weise, die Leser:innen zu sensibilisieren und subtile Bedeutungsebenen zu schaffen. Schließlich würden die wenigsten Menschen von sich behaupten, Antisemiten zu sein („In den Augen vieler Nichtjuden ist Antisemitismus eine Gesinnung, der nur gewalttätige Extremisten, also schlechte Menschen anhängen. Da sie aber solchen Kreisen nicht angehören und somit zu den guten Menschen zählen, kann unmöglich antisemitistisch sein, was sie von sich geben.“). Wer aber entscheidet, ob eine Äußerung antisemitisch ist oder nicht? Immer der Empfänger, nie der Absender.

„[L]ustigerweise regen sich ja ausgerechnet jene über die angebliche Einschränkung der Redefreiheit auf, die diese am schamlosesten ausschöpfen.“

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Lesemonat Januar

Fiktionalrealistisch, sprachgewaltig und sprachkritisch, doch stets mit einer Prise Wortwitz – mein Lesemonat Januar hatte einiges zu bieten, vor allem einen kritischen Blick auf unsere Gegenwart.

🔴 T.C. Boyle – „Blue Skies“: Ein Blick in eine apokalyptisch anmutende Welt, in der sich die Natur die Erde zurückerobert hat.

🔴 Victor Klemperer – „Die Sprache des Dritten Reiches“: Eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit der manipulativen Sprache der NS-Zeit, die aktueller denn je ist.

🔴 Thomas Meyer – „Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?“: Trotz Ironie und einer Prise Sprachwitz ein ernstes und für manche Menschen leider bedrohliches Thema, für das Meyer sprachlich gekonnt sensibilisieren möchte.

🔴 Haruki Murakami – „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“: Ein Balanceakt zwischen realer und fiktiver Welt, ein grandioses Werk über Selbstreflexion und die Fähigkeit, Barrieren zu überwinden.

🔴 Stephanie Schneider – „Grimm und Möhrchen“ (Band 1-3): Eine Kinderbuchreihe voller Sprachwitz, das Jung und Alt mit einer bezaubernden Geschichte voller Freundschaft und Abenteuer gleichermaßen begeistert.

Manipulative Sprache der Rechten

Ein eingängiges Buch über die Macht der Worte in politischen Kontexten: „Die Sprache des Dritten Reiches“ von Victor Klemperer analysiert die manipulative Sprache während der NS-Zeit. Besonders beeindruckend ist die Sensibilität für Nuancen und die Fähigkeit des Autors, subtile Veränderungen in der Sprache zu erkennen.

Die Lektüre regt zum Nachdenken über die Verantwortung jedes Einzelnen im Umgang mit Sprache an und unterstreicht die Notwendigkeit, manipulativer Rhetorik kritisch zu begegnen.

Die Republik gab Wort und Schrift geradezu selbstmörderisch frei; Nationalsozialisten spotteten offen, sie nähmen nur die von der Verfassung gewährten Rechte für sich in Anspruch, wenn sie in ihren Büchern und Zeitungen den Staat in all seinen Einrichtungen und leitenden Gedanken mit allen Mitteln der Satire und der eifernden Predigt zügellos angriffen.

„Die Sprache des Dritten Reiches“, S. 25

Geschrieben als Tagebuch zwischen 1933 und 1945, veröffentlicht kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – und doch aktueller denn je: Auch heute nutzen Rechte die sprachliche Freiheit, die ihnen die Demokratie gewährt, um die Grenzen des Sagbaren Stück für Stück zu verschieben.

Glück ist nie von Dauer – falls es überhaupt kommt

Was macht ein Krieg mit den Menschen? Was bedeutet er für die Angehörigen? Die Folgen verfolgen die Menschen oft ein Leben lang: Angst, Trauer, Verlust, Schmerz. Mit „Nachleben“ erzählt der tansanische Schriftsteller und Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah die Geschichte der Askari in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhand der beiden Protagonisten Hamza und Ilyas. Sie lassen sich als Askari, also als einheimische Söldner, für die kriegerischen Aktionen der deutschen Kolonialherren anwerben.

Schon die Ausbildung zum Askari ist von Unterdrückung und Willkür geprägt. Aber der Krieg überstieg in seiner Brutalität und Grenzenlosigkeit die menschliche Vorstellungskraft.

Ich habe schon im Norden und im Süden, im Osten und im Westen gekämpft, für die Engländer, für den Khedive und jetzt für den Kaiser. Ich bin ein Mann mit Ehre und Erfahrung. Ihr seid Schweine, bis ich Askari aus euch gemacht habe. Ihr seid Washenzi wie alle Zivilisten, bis ich Askari aus euch gemacht habe.

Während Ilyas nicht aus dem Krieg heimkehrt, trägt Hamza die Last seiner Vergangenheit mit sich und muss sich mit den Auswirkungen der politischen Veränderungen auf sein Leben und seine Identität auseinandersetzen. Er ist auf der Suche nach dem Glück im Leben. Er findet es in der Liebe. Doch uneingeschränkt oder von Dauer ist es nicht.

Zugleich stellt der Roman die Frage nach der Verantwortung der nachfolgenden Generationen für die Taten ihrer Vorfahren.

„Nachleben“ behandelt nicht nur politische und historische Ereignisse, sondern auch Themen wie Liebe, Identität und die Suche nach Normalität inmitten von Chaos und Verlust. Abdulrazak Gurnahs Roman zeichnet ein einfühlsames Porträt einer Gemeinschaft, die mit den Folgen von Kolonialismus und Revolution konfrontiert ist und gleichzeitig versucht, ihre eigenen persönlichen Geschichten und Beziehungen zu bewahren. Es ist eine fesselnde Erzählung, die den/die Leser:innen auf eine eindringliche Reise durch die bewegte Geschichte Tansanias mitnimmt.

„Du bist auf der Welt, um das Leben zu lieben“

Das Kinderbuch „Die große Frage“ von Wolf Erlbruch behandelt auf kindgerechte Weise die philosophische Frage nach dem Sinn des Lebens. Es zeigt, dass es nicht die eine Antwort gibt. Jeder Mensch hat seinen eigenen Antrieb, der das Leben liebenswert oder sinnvoll macht. Dabei sind die Antworten manchmal so naheliegend wie beeindruckend. Während der Bäcker den Sinn des Lebens im frühen Aufstehen sieht, sagt der Blinde: „Du bist auf der Welt, um zu vertrauen“. Das Leben ist zu komplex, um die Vielschichtigkeit der Aussagen zu ignorieren. Denn während man aus der Antwort des Bäckers nur schließen könnte, er wolle seinem Handwerk, seiner Arbeit nachgehen, könnte der wahre Sinn des frühen Aufstehens beispielsweise auch darin liegen, die Sonne aufgehen zu sehen oder das frühe Zwitschern der Vögel zu erleben.

Sagt der Tod: „Du bist auf der Welt, um das Leben zu lieben.“

Jede Antwort wird auf ihre Weise in einer einfachen und doch poetischen Sprache ausgedrückt. Die Sätze lassen Zwischenräume. Sie veranlassen zum Nachdenken. Gerade das Unausgesprochene regt die Fantasie der Kinder an. Es gibt keine einfache oder universelle Antwort. Jeder Mensch muss für sich selbst entscheiden, was für ihn persönlich bedeutsam und erfüllend ist.

Meine Lieblingsseite ist die, die wohl die grundlegendste Aussage enthält, nämlich rechtzeitig einen Sinn zu finden: „Du bist auf der Welt, um das Leben zu lieben“ – sagt der Tod. Gleichzeitig sollte der Mensch seine Zeit nicht mit der Suche nach dem Sinn vergeuden. Gerade das Tagträumen, eigentlich eine natürliche kindliche Eigenschaft, kann die größte Erfüllung bringen – auch ohne einen tieferen Sinn zu verfolgen.

Die Wirkung der Worte wird durch kunstvolle, stilvolle Illustrationen auf jeder Seite verstärkt. Sie verleihen dem Buch einen besonderen Charme, der Kinder – aber auch Erwachsene – begeistern wird. Und das Besondere an diesem Buch: Es lässt am Ende genügend Raum für eigene Gedanken – vielleicht ist ja gerade das Nachdenken schon die erfüllende Sinnsuche.

Geschichte in ihrer Singularität begreifen

Wiederholt sich die Geschichte? Erleben wir 100 Jahre nach 1923 eine ähnliche Erosion der Demokratie? Sind die entscheidenden Faktoren zwischen den Jahren 1923 und 2023 überhaupt vergleichbar? Immer wieder werden medienwirksam Vergleiche zwischen den beiden Jahren gezogen. Und es ist durchaus möglich, die Jahre historisch miteinander zu vergleichen – aber es gibt auch wichtige Unterschiede. Ein Blick in „1923. Ein deutsches Trauma“ von Mark Jones ist eine hervorragende Grundlage, um die aktuelle Situation auch im historischen Kontext zu analysieren.

Das Jahr 1923 war in Deutschland geprägt von den Folgen des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik. Die politische Lage in Deutschland war instabil, die Wirtschaft schwach und die sozialen Spannungen groß. „In jenem Jahr stand das politische Schicksal Deutschlands auf Messers Schneide“, fasst Jones zusammen. Sowohl 1923 als auch 2023 könnten Zeiten politischer Unsicherheit sein. 1923 war die Weimarer Republik in Deutschland instabil und es gab politische Konflikte in anderen Teilen der Welt. 2023 könnten politische Konflikte, populistische Bewegungen und instabile Regierungen in verschiedenen Ländern und Regionen ein Thema sein. Von einem Auseinanderdriften der Gesellschaft sind wir heute jedoch weit entfernt – die „Mitte“ ist gefestigt, auch wenn die politischen Einstellungen ein breites Spektrum abdecken. Extreme wie 1923 sind eher Randerscheinungen.

Auch die wirtschaftlichen Probleme sind andere: Ruhrbesetzung, nationale Demütigung durch die Siegermächte und Massenarbeitslosigkeit finden sich in der heutigen Realität nicht wieder. Stattdessen leben wir in einer Zeit der europäischen Integration und historisch niedriger Arbeitslosigkeit. Jones beschreibt hinreichend das Finanzchaos von 1923, das in eine beispiellose Hyperinflation mündete. Demgegenüber liegt die aktuelle Inflationsrate mit sieben bis neun Prozent zwar deutlich über den Vergleichswerten vergangener Jahre, ist aber meilenweit von sozial zerrüttenden Zuständen entfernt.

„1923 war das Jahr der Nullen. So schwer es fallen mag, sie zu begreifen, ihre Bedeutung ist auf erschütternde Weise klar: In der zweiten Jahreshälfte wand sich die Weimarer Republik in den Krämpfen der schwersten Hyperinflation, die die Welt je gesehen hat. Geld, eines der wichtigsten Organisationsmittel menschlicher Interaktion, ein essenzielles Medium der menschlichen Kommunikation und ein Mittel, das das Selbstwertgefühl der Menschen und ihren Wert in Relation zu anderen prägt, hatte aufgehört zu funktionieren. Die Welt war buchstäblich auf den Kopf gestellt worden.“

Während der deutsche Staat 1923 vor dem Staatsbankrott stand, ist die Bundesrepublik heute eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt. Die Bedeutung von Wohlstand für die Entwicklung einer Gesellschaft muss man sich immer wieder vor Augen führen, wenn man heutiges Regierungshandeln verstehen will. Denn ohne das Versprechen sozialer Sicherheit und eines sozialen Netzes verlieren die Menschen schneller das Vertrauen in den Staat und die Radikalisierung der Gesellschaft schreitet wesentlich schneller voran.

Die Weimarer Republik war geprägt von ständigen Regierungswechseln, sozialen Unruhen und einem drohenden Staatsstreich. Auch wenn die Rechten heutzutage einen ähnlichen Zustand herbeisehnen und herbeireden wollen, leben wir in einem gefestigten demokratischen System. Immerhin hat Deutschland gerade erst eine 16-jährige Kanzlerschaft hinter sich, was die Stabilität des Systems und der Gesellschaft unabhängig von der politischen Bewertung unterstreicht.

Dennoch macht Jones deutlich, dass das Bild der Zeit auch einigen Verzerrungen unterliegt. Bei allen negativen Erscheinungen dürfe die Stärke der damaligen Demokratie nicht vergessen werden: „Die Erfolge (…) erinnern daran, dass die Geschichte des Jahres 1923 nicht nur von Radikalisierung und Gewalt handelt; sie ist auch eine Geschichte des Sieges der deutschen Demokraten.“

Mark Jones zeichnet in „Ein deutsches Trauma“ ein Schicksalsjahr der deutschen Geschichte anhand elementarer Ereignisse detailstark nach. Er zeigt, wie alles mit allem zusammenhängt. Nicht zuletzt stellt er eine der beliebtesten Fragen der deutschen „Alternativgeschichte“: Wäre Hitler in eine vergleichbare Position gekommen, wenn die Randbedingungen sich verändert hätte? Wenn beispielsweise die Nachbarstaaten das Ruhrgebiet nicht besetzt hätten? Diese Frage gab der NS-Bewegung erheblichen Auftrieb. Schon damals war klar, dass Hitler die Geschichte und äußere Einflüsse nutzen wollte, um das Land nach seinen Vorstellungen umzugestalten.

Zugleich macht Jones deutlich, welche auf den ersten Blick unbedeutenden Ereignisse den Lauf der Geschichte entscheidend beeinflusst haben. Ein kaum beachtetes Beispiel: die Fahnenweihen der Nationalsozialisten. Hätte der Staat durchgegriffen, sie verboten – wie zwischenzeitlich sogar angeordnet – und das Verbot auch durchgesetzt, wäre der NS-Bewegung ein wesentliches Symbol des Antirepublikanischen abhanden gekommen. Hätten sie ohne solche symbolischen Aktionen trotzdem so viele Menschen begeistern und hinter ihrer Ideologie versammeln können?

Das Jahr 2023 wird weiterhin von Herausforderungen geprägt sein, aber es werden andere sein als 1923. Trotz dieser Unterschiede gibt es sicherlich einige interessante Parallelen zwischen den beiden Jahren. Sie können als Zeiten des Wandels und der Unsicherheit betrachtet werden. Es ist möglich, die Jahre 1923 und 2023 zu vergleichen, aber sie sind nicht vergleichbar. Es gibt sicherlich Lehren aus der Vergangenheit, die sich auf die Gegenwart und die Zukunft anwenden lassen. Die Herausforderungen sind jedoch vielfältiger. Gleichzeitig ist die deutsche Demokratie gefestigter. Mark Jones bietet in „1923. Ein deutsches Trauma“ eine detaillierte Darstellung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ereignisse in Deutschland. Jones macht deutlich, dass es viele Faktoren gibt, die den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte beeinflussen können, aber auch, dass die historischen und politischen Bedingungen heute anders sind. Jones betont insbesondere die Bedeutung von Toleranz und offener politischer Diskussion, um eine Wiederholung der Ereignisse von 1923 zu verhindern.

Geschichten von Mut, Abenteuern und Freundschaft

Rezension der Buchreihe „Fiete“

Rasante Geschichten wunderschön illustriert: Die „Fiete“-Buchreihe ist ganz toller Lesestoff schon für die Kleinsten. Kinder ab zwei Jahren erleben gemeinsam mit dem kleinen Seemann Fiete und seinen beiden Freunden Hinnerk und Hein aufregende Abenteuer an Land und auf See. Neben wirklich spannenden und humorvollen Geschichten wissen die drei Bücher auch mit hochwertigen Bildern zu überzeugen. So werden Kinder auch visuell begeistert.

Fiete ist ein liebenswerter Protagonist. Er hat einen Sinn für Humor und die Interaktionen zwischen den Charakteren sind überaus lustig – das sorgt für viele Lacher bei den kleinen Leser:innen. Fiete wird nicht überzeichnet, sondern mit vielen positiven Eigenschaften wie Neugier, Entdeckerlust und Mut dargestellt. Seine Abenteuer meistert er auf kindgerechte Weise. Kinder können sich somit leicht mit ihm identifizieren.

Die Geschichten sind unterhaltsam und haben gleichzeitig einen pädagogischen Wert: Sie fördern die Kreativität und das Verständnis für andere Menschen und Kulturen. Über allem steht in den „Fiete“-Büchern die Freundschaft. Immer wieder wird deutlich, wie wertvoll es ist, zusammenzuhalten und füreinander da zu sein – die wichtigste Botschaft, die Kinder von Fiete lernen können.