Marx ist noch nicht tot

Buchempfehlungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx

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(c) pixabay

Es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität:

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Lange Zeit galt Karl Marx als rotes Tuch politischer Theorien und Vordenker. Selbst Linke scheuten sich, den Namen oder seine Theorien in den Mund zu nehmen. Doch je näher der 200. Geburtstag dieses herausragenden Gesellschaftstheoretikers rückte, umso häufiger und vor allem positiver wurden seine Gedanken wieder besprochen. Natürlich kann kein Politiker die Absicht haben, Marx‘ sozialkommunistische Ideen zu glorifizieren, wie sie im sowjetischen Kommunismus umgesetzt wurden. Dies hat zu tausenden von Toten und zur Unterdrückung der Gesellschaft geführt. Doch es ist auch umgekehrt falsch, Marx für die Gräueltaten in Osteuropa und Ostdeutschland verantwortlich zu machen, wie dies beispielsweise Hubertus Knabe, wissenschaftlicher Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, apodiktisch tut („Ein Vordenker der Diktatur“). Marx hat sich vielmehr stets für die Freiheit eingesetzt. So ging er mehrfach ins Exil, um sich die Pressefreiheit zu erhalten, wie Marx-Biograf Jürgen Neffe erklärte. Oder in den Worten Willy Brandts: „Was immer man aus Marx gemacht hat: Das Streben nach Freiheit, nach Befreiung der Menschen aus Knechtschaft und unwürdiger Abhängigkeit war Motiv seines Handelns.“ (aus: Jürgen Neffe – Marx. Der Unvollendete)

Steckt vielleicht doch eine erstrebenswerte gesellschaftliche Vision in Marx Theorie? Zumindest die Kritik am in der westlichen Welt vorherrschenden Kapitalismus wächst exponentiell. Henrik Müller beobachtet gar, dass der Kapitalismus „gerade zugrunde zu gehen [scheint] – ganz ohne Revolution“ (Spiegel Online). Deshalb rät der Autor in seiner Kolumne, es Marx gleich zu tun und „mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, um die großen Umbrüche der Gegenwart frühzeitig zu erkennen.“ Im ZDF lief gar ein Dokumentationsdrama Karl Marx – Der deutsche Prophet (Hier in der Mediathek verfügbar), der den „Weltgeist“ zum „wirkmächtigste[n] deutsche[n] Denker“ hochstilisiert (Die Kritik zum Film gibt es bei ZEIT Online).

Am morgigen 5. Mai würde Karl Marx seinen 200. Geburtstag feiern. Nicht zufällig erscheinen in diesem Jahr anlässlich #Marx200 zahlreiche Bücher, die Marx‘ Leben nachzeichnen oder die Marx’sche Kritik in die heutige Zeit übertragen. Im folgenden möchte ich einige lesenswerte Werke zu Marx und seinen Theorien vorstellen:

Jürgen Neffe – Marx. Der Unvollendete

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(c) randomhouse

„Die aktuelle Biografie über Leben und Werk des Philosophen und Gesellschaftskritikers. Karl Marx, der revolutionäre Querkopf und Vordenker des 19. Jahrhunderts, ist wieder da. Seit der Kommunismus in seinem Namen – aber nicht in seinem Sinne – Geschichte ist, feiert er ein bemerkenswertes Comeback. Anlässlich seines 200. Geburtstags erkundet Jürgen Neffe dessen Ursachen – in Marx´ Schriften wie in seiner Biografie. Er schildert das Leben eines Flüchtlings und geduldeten Staatenlosen, der für seine Überzeugungen keine Opfer scheut. Weder Krankheit, Armut, Ehekrisen noch Familientragödien halten ihn davon ab, beharrlich an seinem Werk zu arbeiten. Mit seiner Analyse des Kapitalismus als entfesseltes System sagt er die globalisierte Welt unserer Tage bis hin zur Finanzkrise voraus.“ (Bertelsmann)

Jari Banas – „Das Kapital“ in Farbe

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(c) VSA Verlag

„Marx‘ Kapital lehrt nicht nur Kapi­talisten das Fürchten. Sondern oft auch jene, die es verstehen wollen. Der JARICOMIC schafft Abhilfe: Die lockerste Einführung in das Kapital seit seinem Erscheinen. […] Seit der Großen Krise 2007/08 ist Marx wieder auf der großen Bühne der gesellschaftspolitischen Debatte angekommen. Doch vielen ist die Lektüre von Das Kapital zu mühselig – und das nicht zu Unrecht: ‚Schwere Kost‘ (Wladimir Klitschko). Allerdings gibt es nun keine Ausreden mehr: Anlässlich des 150-jährigen Erscheinens von Marx‘ Opus Magnum (in Hamburg, wo sonst) hat JARI seine Einführung auf den neuesten Stand gebracht.“ (VSA Verlag)

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Welches ist das Sachbuch des Jahres?

Preis der Leipziger Buchmesse – Kategorie Sachbuch / Essayistik

lbm18 Logo Leipziger Buchmesse 2018 Buecherherbst BuecherblogGestern hatte ich die Nominierten zum #pdlbm18 in der Kategorie Belletristik vorgestellt, nun folgt eine Übersicht über die Nominierten in der Kategorie Sachbuch / Essayistik. Nachdem ich Leseproben, Inhaltsangaben und Rezensionen durchblättert hatte, hat sich ein klarer persönlicher Favorit herausgeschält: Gerd Koenen mit Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus. Begründet ist dies ganz einfach in meinem großen Interesse für politische Bücher. Zugleich halte ich den Kommunismus in der Denkweise Karl Marx‘ (nicht in der sowjetischen Umsetzung) für eine spannende Utopie, mit dem Ziel einer „klassenlosen“ Gesellschaft durch soziale Gleichheit und Freiheit für alle Menschen.  Weiterlesen

Aus Leichtsinn zum Staatsfeind 

– Rezensionsexemplar –

Hesse Diversant Berlin Verlag Rezension Buecherherbst Buecherblog DDRAls Mensch, der in ein vereintes Deutschland hineingeboren wurde oder zumindest die Zweistaatigkeit als Kind nur am Rande miterlebt hat und in einem Bewusstsein des Europas ohne Grenzen aufgewachsen ist, dieses im Alltag oder auch nur im Urlaub lebt, ist die Welt der deutschen Teilung kaum vorstellbar. Entgegengesetzte Ideologien, diametrale Ausrichtungen mit verfeindeten Verbündeten, eine Grenze, die zunächst nur patrouilliert, dann mit einer Mauer oder gar Panzern geschützt wurde – all das erscheint selbst beim Spaziergang entlang der (heute künstlerisch gestalteten) Berliner Mauer vollkommen irreal.

Andree Hesse versucht in Der Diversant, diesen Teil der deutschen Geschichte ein Stück greifbarer zu machen. Er erzählt die wahre Geschichte seines Onkels – so wird es zumindest in dem an die Geschichte anschließenden Epilog dargelegt -, der in den 1950er Jahren in der DDR aufwuchs. Es ist eine Zeit, in der der Zweite Weltkrieg erst wenige Jahre vorüber war, die meisten Menschen die Erinnerung daran verdrängen wollten und die beiden frisch gegründeten deutschen Staaten stellvertretend für die ideologischen Systeme um die Vormacht in der Mitte Europas rangen; die einen dem Kommunismus zugeneigt, die anderen der westlichen, marktwirtschaftlich geprägten Demokratie. Beide Gesellschaften waren noch jung und auf der Suche nach der eigenen Identität.

In der gleichen Phase befindet sich Meiner, der Ich-Erzähler. Während die Gesellschaft ihm keinen Halt gibt, versucht er seine Position im Leben zu finden. Die meisten Menschen in seiner Umgebung haben tiefe Wunden von den beiden Weltkriegen davongetragen, physisch oder mindestens psychisch. Da ist beispielsweise Bauer Grothe – bei ihm hütet Meiner als Zehnjähriger in den Ferien die Schafe -, der nur noch ein gesundes Bein hat, da ihm das andere zerschossen wurde; Meiners Opa wurde bereits im Ersten Weltkrieg durch ein Bajonett am Kinn verletzt; sein Vater erlitt im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront einen Kopfschuss, woraufhin ihm die Schädeldecke ersetzt werden musste und er dauerhaft halbseitig gelähmt ist.

In den letzten Tagen des Krieges kamen Flüchtlinge aus den Ostgebieten und wurden im Dorf untergebracht. Den meisten Leuten gefiel das nicht. Angeblich hatte niemand etwas gegen Flüchtlinge, im eigenen Haus aber wollte man sie nicht haben.

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