Die Suche nach einer Heimat und dem sich-zu-Hause-fühlen ist im Zeitalter der transiten Grenzen nicht einfacher geworden. Wer in einer deutschen Großstadt aufwächst oder lebt, erfährt im Alltäglichen, dass das überholte Prinzip der Nationalitäten einer heterogenen Gesellschaft gewichen ist. Für einen Menschen ohne Migrationshintergrund ist es kaum greifbar, wie kompliziert die Suche nach einer Identität für Menschen sein muss, die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, deren Eltern oder Großeltern allerdings womöglich nie einhundertprozentig angekommen sind oder die zumindest dauerhaft in zwei Welten und Kulturen leben.

Fatma Aydemir (l.) auf der Leipziger Buchmesse 2017 im Gespräch über ihr Buch „Ellbogen“.
Es ist ein immerwährender Zwiespalt zwischen offener und freiheitlicher Gesellschaft sowie kulturellen Traditionen, den die 17-jährige Türkin Hazal zu ertragen hat. Sie wächst in Berlin-Wedding auf, gemeinsam mit ihren Eltern und Bruder Onur. Ihre Kindheit ist geprägt von Einschränkungen und Verboten; ihr Vater hat bedingungslos das Sagen, ohne Widerworte – das, was man sich landläufig als traditionell-konservativ türkisch vorstellt. Doch gerade außerhalb der Familienstruktur kennt Hazal keine Grenzen. Von ihr und der Gesellschaft, in die sie hineinwächst, erzählt Fatma Aydemir in ihrem Roman Ellbogen. War Hazals Leben bereits von Geburt an vorbestimmt, durch ihre Herkunft und ihr soziales Umfeld? „Vielleicht hat Mama nur geweint, weil sie dachte, dass ich jetzt ein Opfer werde und mein Leben verpfusche, so wie jedes zweite Mädchen hier im Wedding. Und vielleicht sieht es von außen tatsächlich so aus, als ob ich mein Leben schon verpfuscht habe. Ja, wahrscheinlich habe ich ja auch ein verpfuschtest Leben. Mama wollte immer, dass ich Arzthelferin werde, und ich wollte Ärztin sein. Jetzt bin ich nichts von beidem und finde nicht mal eine Ausbildung zur Verkäuferin.“
Mit der Zeit hat sie aber gemerkt, wie anstrengend es ist, eine Türkin zu sein, und wie bescheuert, da freiwillig mitzumachen. Während wir doch gar keinen Bock darauf haben, nach außen immer voll brav zu tun und alles, was Spaß macht, immer nur heimlich zu machen. Und von da an hart Elma sich nicht mehr wie ein türkisches Mädchen benommen, sondern wie ein türkischer Junge: laut, unverschämt und grundlos aggressiv.