Appell an die offene Gesellschaft

Rezensionsexemplar: Andrej Nikolaidis – Der ungarische Satz

Andrej Nikolaidis ungarische Satz Voland Quist Rezension Buecherherbst BuecherblogWie viel Kraft kann in einem einzigen Satz stecken? Andrej Nikolaidis reizt das Spiel mit der Sprache, mit Satzbau und Interpunktion bis zur Indifferenz des Lesers aus. Mit Der ungarische Satz dehnt er den Kult um lange Sätze auf zu Beginn illusorisch erscheinende 120 Seiten – sein Buch besteht aus nur einem einzigen Satz. Das klingt abschreckend, doch nach wenigen Seiten spielt dies überhaupt keine Rolle mehr, zum einen, weil die eigene Wahrnehmung dem Verlangen nach einem Satzende widersteht, zum anderen, weil der Erzählrhythmus, angelehnt an eine Zugfahrt – und hier ist es eher eine Fahrt mit dem ICE, denn mit der Straßenbahn –, rasant und bewegend ist.

Nikolaidis erzählt von einem Mann, der sich auf eben jener Zugfahrt befindet, von Budapest nach Wien. Diese Strecke ist nicht willkürlich gewählt. Es ist die letzte Etappe, über die die in Ungarn gestrandeten und am Budapester Hauptbahnhof feststeckenden und von jeglicher staatlichen Hilfe abgeschnittenen Flüchtlinge 2015 weiter gen Westen und insbesondere nach Deutschland reisten. Denn Der ungarische Satz ist viel mehr als ein außergewöhnliches Spiel mit Sprache, das Buch ist auch ein aufrüttelnder Appell an die liberalen westlichen Wohlstandsgesellschaften, offene Gesellschaften zu bleiben und Menschen nicht nach ökonomischen Werten, sondern nach ihrer Hilfsbedürftigkeit zu beurteilen. Oder ganz einfach: Sie als Mensch anzusehen.

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Winterwunderwelt Buchmesse

Fotorückblick zur #lbm18

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Messehalle im Winter

Entgegen der ursprünglichen Voraussage eines neues Rekords kamen zur diesjährigen Leipziger Buchmesse knapp fünf Prozent weniger Besucher – was sicherlich zuvorderst am Wintereinbruch zum Messewochenende lag. Insgesamt wurden 271.000 Bücherfreunde auf dem Messegelände (197.000) sowie bei Veranstaltungen von Leipzig liest im gesamten Stadtgebiet gezählt. Trotzdem zogen die Veranstalter ein positives Fazit, insbesondere aufgrund der gewachsenen Debattenkultur und der vielen interessanten Diskussionen. „Das geschriebene und gesprochene Wort entfaltete seine ganze Kraft zur Leipziger Buchmesse, die sich auch in Zeiten hitziger politische Debatten und kontroversen Diskussion als Hort des friedlichen Diskurses und der Meinungsfreiheit zeigte“, erklärte Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe (Abschlussbericht: Die einzigartige Kraft der Worte).

Drei Tage lang war ich auf dem Messegelände unterwegs (Außergewöhnliche Lyrik), habe spannende politische Diskurse mit progressiven Zukunftsideen (Durch und durch politisch) ebenso gesehen wie interessante Berichte von Autoren zur Entstehung ihrer Bücher (Kinsky, Schlögel, Stöhr und Durkat ausgezeichnet) oder ihren außergewöhnlichen Reisen bis in den Orient für die Recherche. Eine Auswahl meiner #lbm18-Fotos findet ihr in der folgenden Galerie:

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Außergewöhnliche Lyrik

Leipziger Buchmesse 2018 – Tag 3

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Andrej Nikolaidis

Das wirklich Schöne an der Leipziger Buchmesse ist, dass man immer wieder auch unbekanntere Autoren erlebt und ihre Bücher kennenlernt. Am Stand der taz gastierte heute Andrej Nikolaidis – auf dem Balkan ist der Bosnier einer der bekanntesten und angesagtesten Schriftsteller, bei uns weitestgehend unbekannt. Der Verlag Voland & Quist publizierte kürzlich sein neuestes Buch Der ungarische Satz. Ein beeindruckendes Werk, denn die immerhin 128 Seiten bestehen aus nur einem einzigen Satz.

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Navid Kermani stellt sein Buch „Entlang den Gräben“ vor.

In Deutschland wahrlich kein Unbekannter ist Navid Kermani. Der mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Autor reiste kürzlich Entlang den Gräben, vom Osten Deutschlands, wo er bei einer AfD-Veranstaltung zu Gast war, bis hin zum Orient. Imponiert habe ihm dabei insbesondere der Besuch im Konzentrationslager Auschwitz: „Als Deutscher – egal, ob man braune, blonde oder grüne Haare hat – bekommt man sofort den Button ‚Deutsch‘ auf die Brust. Das macht etwas mit einem, wenn man an einem Ort wie Auschwitz ist“, erzählte Kermani.

Leipziger Buchmesse lbm18 pdlbm18 Buecherherbst Buecherblog Gomringer Hofmann

Nora Gomringer (r.) und Katja Hofmann bei ND.

Ein wahres Politikum rangt sich derzeit um den Namen Gomringer. Gestern berichtete ich bereits von der völlig verfehlten Polemik Denis Schecks, der die Studenten, die das Gedicht Eugen Gomringers Avenidas aufgrund von ihnen erkanntem Sexismus von der Wand der Hochschule entfernt wissen wollten, als „Kultur-Taliban“ bezeichnete. Weiterlesen

Neues Jahr, neue Wunschliste [Frühjahr 2018]

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(c) Lupo/pixelio.de

Nach dem Luther-Jahr folgt das Marx-Jahr: Insbesondere die sachbuchorientierten Verlage veröffentlichen zu Jahresbeginn 2018 zahlreiche neue Bücher anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx am 5. Mai. Aber nicht weniger (bedeutende) Werke erscheinen anlässlich des 100. Geburtstages (18. Juli) von „Afrikas Lichtgestalt“, Nelson Mandela. Darüber hinaus gibt es Neuerscheinungen von Haruki Murakami, T.C. Boyle, Laksmi Pamuntjak; Thea Dorn wird politisch, Martin Walser schreibt weiter, Gregor Gysi bringt Marx mit in die heutige Zeit, Jutta Ditfurth warnt vor dem Faschismus und Peer Steinbrück belehrt die Sozialdemokratie.

Eine Linkliste zu den Verlagsvorschauen findet ihr hier:
Verlagsvorschauen im Überblick
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Es gab durchaus schon interessantere Verlagsvorschauen, als diese für das Frühjahr 2018. Nichtsdestotrotz findet man beim genauen Hinschauen zahlreiche spannende Neuerscheinungen. Gerade im Januar stehen einige Kracher an: Los geht es mit Arno Geigers Unter der Drachenwand. Es folgen Bernhard Schlink, Haruki Murakami und Navid Kermani.

Ich habe mich durch die Vorschauen gewühlt und eine neue Wunschliste für die kommenden Monate zusammengetragen. Dabei liegt der Schwerpunkt insbesondere auf den Themenfeldern Politik / Flucht / Europa, so dass auch das eine oder andere Sachbuch seinen Weg in die Wunschliste gefunden hat. Bei manchen Verlagen reicht die Vorschau gar bis in den Sommer hinein, so dass ich bereits längerfristig plane, jedoch im Laufe des Jahres sicherlich noch Ergänzungen hinzufügen werde.

Damit ich nicht zu viele Bücher kaufe, die am Ende auf dem SuB versauern, habe ich – mit einigen namhaften Ausnahmen – lediglich Bücher gewählt, die maximal 350/400 Seiten haben. Jetzt möchte ich euch zunächst einen Überblick über die Bücher auf meiner Wunschliste geben, folgend stelle ich dann die Bücher nochmals einzeln vor:

10. Januar: Arno Geiger – Unter der Drachenwand, 480 Seiten, Hanser
12. Januar: Bernhard Schlink – Olga, 320, Diogenes
22. Januar: Haruki Murakami – Die Ermordung des Commendatore I, 480, DuMont
26. Januar: Navid Kermani – Entlang den Gräben, 445, C.H. Beck
29. Januar: Leander Steinkopf – Stadt der Feen und Wünsche, 112, Hanser Berlin
29. Januar: T.C. Boyle – Good Home, 432, Hanser

20. Februar: André Kubiczek – Komm in den totgesagten Park und schau, 320, Rowohlt Berlin

1. März: Andrej Nikolaidis – Der ungarische Satz, 150, Voland & Quist
5. März: Vincent F. Hendricks, Mads Vestergaard – Postfaktisch. Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien, 180, Blessing Verlag
8. März: Joschka Fischer – Der Abstieg des Westens, 176, Kiwi
9. März: Matthew Desmond – Zwangsgeräumt. Armut und Profit in der Stadt, 528, Ullstein
12. März: David Grossmann – Eine Taube erschießen, 128, Hanser
12. März: Imaani Brown – Hallo Deutschland, 256, Heyne
15. März: Matthias Göritz – Parker, 352, C.H. Beck
22. März: Slavoj Zizek – Das Kommunistische Manifest. Die verspätete Aktualität des Kommunistischen Manifests, 160, Fischer
27. März: Toni Morrison – Die Herkunft der Anderen, 112, Piper

10. April: Thea Dorn – Deutsch, nicht dumpf, 160, Knaus
11. April: Hermann Hesse – „In den Niederungen des Aktuellen“ (Briefe, 1933-1939), 750, Suhrkamp
13. April: Gregor Gysi – Marx & wir. Warum wir eine neue Gesellschaftsidee brauchen, 144, Aufbau Verlag
16. April: Haruki Murakami – Die Ermordung des Commendatore II, 500, DuMont
26. April: Roberto Bolaño – Der Geist der Science-Fiction, 224, S. Fischer
26. April: Rüdiger Barth / Hauke Friederichs – Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Demokratie, 320, S. Fischer

2. Mai: Ralf Rothmann – Der Gott jenes Sommers, 260, Suhrkamp
11. Mai: Ingo Zamperoni – Anderland. Die USA unter Trump – ein Schadensbericht, 160, Ullstein
14. Mai: Ta-Nehisi Coates – We were eight Years in Power – Eine amerikanische Tragödie, 336, Hanser Berlin
17. Mai: Nelson Mandela – Briefe aus dem Gefängnis, 600, C.H. Beck
23. Mai: Jutta Ditfurth – Haltung + Widerstand, 144, Hoffmann & Campe

1. Juni: Alice Zeniter – Die Kunst zu verlieren, 560, Berlin Verlag
6. Juni: Stephen Parker – Bertolt Brecht, 1.000, Suhrkamp
24. Juli: Max Annas – Finsterwalde, 352, Rowohlt Hundert Augen Weiterlesen