In gut einem Monat beginnt die Leipziger Buchmesse. Mehr als 350 Buchtitel wurden für den Preis der Leipziger Buchmesse eingereicht – jetzt hat die Jury die Nominierten in den drei Kategorien bekannt gegeben. Welcher Titel mein jeweiliger Favorit ist, werde ich in der Woche der #lbm19 schreiben. Zunächst möchte ich die Nominierten vorstellen und Rezensionshinweise geben:
Belletristik
Kenah Cusanit – Babel
„1913, unweit von Bagdad. Der Archäologe Robert Koldewey leidet ohnehin schon genug unter den Ansichten seines Assistenten Buddensieg, nun quält ihn auch noch eine Blinddarmentzündung. Die Probleme sind menschlich, doch seine Aufgabe ist biblisch: die Ausgrabung Babylons. Zwischen Orient und Okzident bahnt sich gerade ein Umbruch an, der die Welt bis in unsere Gegenwart hinein erschüttern wird. Wie ein Getriebener dokumentiert Koldewey deshalb die mesopotamischen Schätze am Euphrat; Stein für Stein legt er die Wiege der Zivilisation frei – und das Fundament des Abendlandes.“ (Hanser)
„Die Altorientalistin Kenah Cusanit hat recherchiert und mit „Babel“ einen klugen, lebensweisen und subtil witzigen Roman über Koldewey und sein Grabungsprojekt geschrieben.“ (SWR)
„Der Roman hat die Gestalt einer ebenso gelehrsamen wie unterhaltsamen, mitunter saukomischen Babel-Rhapsodie. Ein komödiantisches Meisterwerk ist der Autorin auf Anhieb gelungen.“ (Deutschlandradio Kultur)
„Kenah Cusanit schafft es, dass das Lesen dieses Buches selbst einer Expedition gleicht, Vor- und Zurückblättern sowie Google-Recherchen zu den historischen Hintergründen inklusive.“ (taz)
Matthias Nawrat – Der traurige Gast
„Es ist der Winter des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Ein Mann ohne Namen beobachtet seine prekäre Nachbarschaft mit wachsender Beunruhigung. Über Gespräche und Begegnungen, den Blick in die eigene Biographie wie auf vergangene Lebensgeschichten, sucht er Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen, dem Leben, dem Tod. Der traurige Gast ist eine Selbst- und Weltbefragung von bestrickender erzählerischer Intensität. Ein philosophischer und zutiefst menschlicher Roman, der weiß, was Verlieren, Verdrängen, Neu-Ankommen bedeuten. “ (rowohlt)
„Aber so wenig es bei Nawrat etwas zu bewegen scheint, so wenig bewegt es den Leser: Es lässt eigentümlich kalt. Die Schilderungen bleiben Geschichten aus zweiter, dritter Hand und ziehen sich in die Länge. Es wirkt, als wäre der Erzähler nur Gast in der Welt der anderen, ein Gast ohne großen Erkenntnisgewinn, ein trauriger Gast.“ (NDR)
„Dass die Paranoia, die den Erzähler nach dem islamistischen Terroranschlag erfasst, unmittelbar mit der Lektüre über die Gräueltaten von Kolonialisten kontrastiert werden muss, wirkt etwas pflichtschuldig. Auch die gleichförmige ‚Sagte-sie-sagte-ich‘-Lakonie kann einen phasenweise ungeduldig machen. Das fällt aber kaum ins Gewicht, weil die narrative Grundkonzeption und ihre sorgfältige Ausführung in den Bann ziehen.“ (Süddeutsche Zeitung)
„Eine Sinnsuche, ein Versuch, in einer Welt ohne Gott und Jenseitshoffnung doch irgendwelche Gründe oder auch nur Verhaltensmodi gegen die Verzweiflung zu finden.“ (Welt)
Jaroslav Rudiš – Winterbergs letzte Reise
„Jan Kraus arbeitet als Altenpfleger in Berlin. Geboren ist er in Vimperk, dem früheren Winterberg, im Böhmerwald, seit 1986 lebt er in Deutschland. Unter welchen Umständen er die Tschechoslowakei verlassen hat, das bleibt sein Geheimnis. Und sein Trauma. Kraus begleitet Schwerkranke in den letzten Tagen ihres Lebens. Die Tage, Wochen, Monate, die er mit seinen Patienten verbringt, nennt er ‚Überfahrt‘. Einer von denen, die er auf der Überfahrt begleiten soll, ist Wenzel Winterberg, geboren 1918 in Liberec, Reichenberg. Als Sudetendeutscher wurde er nach dem Krieg aus der Tschechoslowakei vertrieben. Als Kraus ihn kennenlernt, liegt er gelähmt und abwesend im Bett.“ (Luchterhand)
„Eine mitreißende, melancholische und hochkomische Roadnovel, deren Held seinen illustren Ahnen von Charlie Chaplins The Tramp bis zu Sal Paradise in Jack Kerouacs Unterwegs alle Ehre macht.“ (Der Tagesspiegel)
Anke Stelling – Schäfchen im Trockenen
„Resi hätte wissen können, dass ein Untermietverhältnis unter Freunden nicht die sicherste Wohnform darstellt, denn: Was ist Freundschaft? Die hört bekanntlich beim Geld auf. Die ist im Fall von Resis alter Clique mit den Jahren so brüchig geworden, dass Frank Lust bekommen hat, auszusortieren, alte Mietverträge inklusive. Resi hätte wissen können, dass spätestens mit der Familiengründung der erbfähige Teil der Clique abbiegt Richtung Eigenheim und Abschottung und sie als Aufsteigerkind zusehen muss, wie sie da mithält.“ (Verbrecher Verlag)
„Dass aus Schäfchen im Trockenen mehr geworden ist als eine bitterböse Satire mit treffenden Dialogen, liegt an Anke Stellings Fähigkeit, den Wörtern auf den Grund zu gehen und Situationen in eine unerwartete Richtung zu schubsen.“ (Deutschlandfunk)
„Über Gräben in der Mittelschicht: Der eigene gesellschaftliche Kosmos, das ist für die 47-jährige Schriftstellerin Anke Stelling und ihre Protagonistin Resi der Prenzlauer Berg in Berlin. Und da geht es ungerecht zu“ (ZDF)
„Teuflisch-lustig beschreibt sie den Bionade-Biedermeier im Prenzlauer Berg, dessen Bewohner die Hoffnung aufgegeben haben, politisch etwas erreichen zu können, weshalb sie in erster Linie nicht mehr die Verhältnisse, sondern nur noch ihre eigene Person durchdenken und durchchecken.“ (Neues Deutschland)
Feridun Zaimoglu – Die Geschichte der Frau
„Es spricht die Frau. Es beginnt. Ein literarisches Abenteuer, ein großer Gesang, ein feministisches Manifest: Feridun Zaimoglus neuer Roman ist ein unverfrorenes Bekenntnis zur Notwendigkeit einer neuen Menschheitserzählung – aus der Sicht der Frau. Dieses Buch erzählt eine unerhörte Geschichte. Es lässt zehn außerordentliche Frauen zur Sprache kommen vom Zeitalter der Heroen bis in die Gegenwart. Es sind Menschen, deren Sicht auf die Dinge nicht überliefert wurde. Weil Männer geboten, die Wahrheit tilgten und die Lüge zur Sage verdichteten. Diesen Frauen war es vorbehalten, schweigend unsichtbar zu bleiben oder dekorativ im Bild zu stehen. Doch nun sprechen sie – klar und laut, wie eine abgefeuerte Kugel.
Feridun Zaimoglu zeigt sich in seinem neuen Roman erneut als ein Meister der Vielstimmigkeit. Was ihm dabei gelingt, ist ein regelrechtes Wunder. Die Figuren dieses Buches klingen nicht nur lebendig – sie werden es: von Antigone über Judith bis Valerie Solanas. Kraftvoll, poetisch und subversiv. Kein Friedensangebot. Keine Schmeichelei. Tabula Rasa!“ (KiWi)
Sachbuch/Essayistik
Frank Biess – Republik der Angst. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik
„Frank Biess erzählt die Geschichte der Bundesrepublik als eine Geschichte kollektiver Ängste. […] Biess geht es nicht darum, im Rückblick die Berechtigung dieser Ängste zu bewerten. Er beschreibt vielmehr ihre prägende Rolle für die Entwicklung des Landes. Die Erfahrung von Krieg und Gewalt, lautet seine These, begleitete die Demokratisierung und Liberalisierung der Bundesrepublik; die Angst stellte die soziale und politische Ordnung in Frage – und stabilisierte sie zur gleichen Zeit. Schließlich diskutiert der Autor die Auswirkungen dieser Angstgeschichte auf die politische Kultur der Berliner Republik. Sind die aktuellen Ängste vor Krieg, Einwanderung und Terrorismus noch spezifisch deutsch, also auf die deutsche Vergangenheit bezogen? Oder spiegeln sie allgemeinere ‚transnationale‘ Befürchtungen, die sich in anderen westlichen Nationen auch finden lassen? Er geht damit der spannenden Frage nach, ob die Geschichte der ‚deutschen Angst‘ heute an ihr Ende gelangt ist.“ (Rowohlt)
Harald Jähner – Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 – 1955
„Harald Jähners große Mentalitätsgeschichte der Nachkriegszeit zeigt die Deutschen in ihrer ganzen Vielfalt: etwa den ‚Umerzieher‘ Alfred Döblin, der das Vertrauen seiner Landsleute zu gewinnen suchte, oder Beate Uhse, die mit ihrem ‚Versandgeschäft für Ehehygiene‘ alle Vorstellungen von Sittlichkeit infrage stellte; aber auch die namenlosen Schwarzmarkthändler, in den Taschen die mythisch aufgeladenen Lucky Strikes, oder die stilsicheren Hausfrauen am nicht weniger symbolhaften Nierentisch der anbrechenden Fünfziger, Baustein einer freieren Welt, die man sich bald würde leisten können. Das gesellschaftliche Panorama eines Jahrzehnts, das entscheidend war für die Deutschen und in vielem ganz anders, als wir oft glauben.“ (Rowohlt)
Marko Martin – Das Haus in Habana. Ein Rapport
„Das Haus in Habana ist keine der üblichen Abrechnungen mit Cuba. Marko Martin kennt die Region seit langem und ist deshalb keineswegs naiv ‚enttäuscht‘ von dortiger Realität. War sein 2013 in der Anderen Bibliothek erschienener Erzählband Die Nacht von San Salvador bereits eine Hommage an den lateinamerikanischen Kontinent, setzt er sich in seinem literarischen Journal nun mit der Karibikinsel auseinander. […] Wem kann er trauen auf Cuba, was verbirgt sich hinter (wiederum verborgenen) Absichten, wo endet tropische Lebensfreude und beginnt politische Existenzangst, wie vermischt sich beides im Gespräch, in der Mimik, ja selbst in der Sexualität? Und wie nimmt er, einst als Kriegsdienstverweigerer aus der DDR ausgereist, die letzte Diktatur in der Karibik wahr, die nun in einen partei-gelenkten Frühkapitalismus hineinstolpert?“ (Wehrhahn Verlag)
„Immer auch auf der Suche nach Geschichten und nach homoerotischen Abenteuern. Die Partner wechseln häufig, der Bericht ist leidenschaftlich, intensiv und explizit. Das ist sicherlich nicht jedermanns Kost, und manchmal wünscht man sich mehr Analyse und weniger Erotik.“ (Gießener Anzeiger)
„‚Die Leute, die bespitzelt werden, müssen andere bespitzeln‘ – Marko Martin im Gespräch mit Frank Meyer“ (Deutschlandfunk Kultur)
Lothar Müller – Freuds Dinge. Der Diwan, die Apollokerzen & die Seele im technischen Zeitalter
„Freuds Dinge spürt jenen Gegenständen nach, die die bürgerliche Lebenswelt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert bevölkerten, als Sigmund Freuds Psychoanalyse entstand. Ob Instrumente medizinischer Laboratorien, Möbel oder Kinderspielzeug, Götterfiguren aus Gips und Marmor in Sichtweite des legendären Diwans oder Schreibgeräte wie der ‚Wunderblock‘ – die Warenwelt des technischen und industriellen Zeitalters verwandelt sich bei Freud in ‚Traumdinge‘, die den Träumenden einladen, durch Name oder Gestalt seine Erinnerungen, Wünsche oder Ängste zu offenbaren. Das Inventar des modernen, von Mechanisierung und Elektrifizierung geprägten Alltags, ist in Freuds Fallgeschichten und Deutungen eingewoben, es spielt wie die antike Mythologie eine tragende Rolle in der Erforschung des ’seelischen Apparats‘. So lassen sich Freuds Schriften nicht nur als Aufdeckung des Verdrängten und Entzifferung des Unbewussten lesen, sondern zugleich als Geschichte des Zusammenspiels von Dingwelt und Seelenleben im bürgerlichen Zeitalter. Lothar Müllers verblüffende Neulektüre wirft einen überraschenden Blick auf Sigmund Freuds epochale Deutungskunst und geht der Geschichtlichkeit des Unbewussten nach.“ (Die Andere Bibliothek)
Kia Vahland – Leonardo da Vinci und die Frauen. Eine Künstlerbiographie
„Mit seinen Geistesblitzen, Visionen, Maschinenträumen, anatomischen Studien gilt Leonardo da Vinci als Vordenker der Moderne. Das wichtigste aber war dem Universalgenie und Schöpfer der legendären ‚Mona Lisa‘ die Malerei, die er zum Leitmedium seiner Epoche machte. Kia Vahland zeigt in einer umfassenden Künstlerbiografie, wie ihm das gelang: Er verbündete sich mit den Frauen. Von der stolzen jungen Maria bis zur weisen Mona Lisa, von der dynamischen ‚Dame mit dem Hermelin‘ bis zur gütigen Heiligen Anna sind sie die Hauptfiguren seiner Gemälde. Um das Weibliche kreisen seine wegweisenden Ideen zur Naturgeschichte, zur Schöpfung und zur Kunst. Anhand von Leonardos Bildern, Texten und anderen historischen Quellen schildert Kia Vahland den Lebensweg und das gesamte malerische Œuvre des Jahrtausendkünstlers. Sie erzählt die Geschichten der bedeutenden Persönlichkeiten in seiner Nähe wie Isabella d’Este und Lorenzo de‘ Medici und berichtet vom Alltagsleben und den politischen Verflechtungen der Renaissance. Die Biographie erklärt, wie der Maler Konventionen brach und so eine neue Sicht auf Natur und Kunst, Frauen und Männer, Wissenschaft, Religion und Politik entwickelte – und damit seinen Ruhm und seine Bedeutung bis heute begründete.“ (Suhrkamp)
Übersetzung
Liviu Rebreanu – Der Wald der Gehenkten, aus dem Rumänischen von Georg Aescht
„Erster Weltkrieg: An der russischen Front wird ein Soldat hingerichtet. Man hatte ihn überführt, als er zum Feind überlaufen wollte. Leutnant Apostol Bologa aus Siebenbürgen ist unter den Mitgliedern des Kriegsgerichts, das für das Urteil verantwortlich ist. Ein Jahr später wird Bologa selbst unter dem Galgen stehen, angeklagt der Desertion, weil er sich weigerte, auf seine eigenen Landsleute schießen zu lassen. Er opfert sich und verliert alles – seine Familie, seine Karriere, seine Liebe zu Ilona. Mit epischer Wucht und suggestiver Kraft zeichnet Liviu Rebreanu das Schicksal seines eigenen Bruders nach – ein Klassiker der Weltliteratur aus Rumänien und eine große Wiederentdeckung.“ (Hanser)
„Dieser Roman erinnert an eine antike Tragödie: Ab den ersten Seiten ist dem Leser vollkommen klar, wie es enden wird. Dann entfaltet sich das Geschehen in seiner ganzen Wucht und strebt unaufhaltsam der Katastrophe zu.“ (Literaturkritik.de)
„Immer wieder überrascht Rebreanu mit seiner zugleich exaltierten und präzisen Sprache, mit gemischten Charakteren vor einer apokalyptischen Szenerie. Georg Aescht hat den Wald der Gehenkten jetzt mit beeindruckendem Gespür für den Wechsel der Tonlagen neu übersetzt.“ (Süddeutsche Zeitung)
Aura Xilonen – Gringo Champ, aus dem Spanischen von Susanne Lange
„‚Hirnverbranntes Stück, lies gefälligst was, wenigstens die Klappentexte, damit du weißt, worum es verdammt noch mal geht, und du ein fokkin Book verkaufen kannst!‘ So fährt der Chef Liborio an, der sich als illegaler Buchhändler, Tagelöhner und Sparring-Boxer über Wasser hält. Er musste Mexiko verlassen, wie Tausende andere unbegleitete Jugendliche gelangte er endlich ins ‚Gelobte Land‘. Jetzt erzählt er uns seine verrückte Geschichte, wie er es am Ende schafft, ein Gringo Champ zu werden. Das furiose Debüt einer neunzehnjährigen Autorin über einen mexikanischen Immigranten: Aura Xilonen erfindet eine radikal neue, atemlose Sprache, die gegenwärtige und zukünftige Mauern durchbricht.“ (Hanser)
„Eine literarische Sensation aus Mexiko: Aura Xilonen berichtet in ihrem Debütroman Gringo Champ in prägnantester Sprache von einem, der sich so durchschlagen muss.“ (Spiegel)
„Im Fall von Aura Xilonens jetzt auf Deutsch vorliegenden Debütroman aus dem Jahr 2015 hatte Übersetzerin Susanne Lange eine weiß Gott schwere Partie. […] Liborio schlägt in diesem wüsten und gleichzeitig zarten und feinfühligen Roman namens Gringo Champ jedenfalls zurück. Knock-out in der ersten Runde. Technisch noch verbesserungswürdig, aber die Energie und Wucht sind da.“ (Der Standard)
„Aura Xilonens viel gelobter Debütroman ist nicht frei von Kitsch und Klischees, aber jugendlich frisch und sprachlich originell.“ (Deutschlandfunk Kultur)
György Dragomán – Löwenchor, aus dem Ungarischen von Timea Tankó
„Nach der Beerdigung seiner Mutter kehrt Ferenczi nicht in die leere Wohnung zurück, sondern fliegt nach Madrid. Auf dem Hotelbalkon an der Puerta del Sol, während von unten ‚Tanzmusik, Freudenmusik und Trauermusik‘ heraufdringt, geht ihm durch den Kopf, wie anders das Leben verlaufen wäre, hätten die kommunistischen Behörden seinen Eltern nicht die Hochzeitsreise nach Spanien verweigert – das Hotel an der Puerta del Sol war schon gebucht. Sein Vater wäre nicht in den Bergen verunglückt, und seine Mutter hätte ihre Gesangskarriere gemacht, statt putzen zu gehen. Wie Stimmen einer Partitur verflechten sich die langen, dichten Sätze und lassen Sequenzen der Vergangenheit und Gegenwart einander durchdringen. ‚Dass der Schmerz irgendwann nachließ, davon handelte die Musik‘, sagt eine Sängerin, die ihr Leben lang mit Ella Fitzgeralds Cry me a river auftritt und Glück und Qual einer Musikerexistenz bis zum Ende durchstehen muss. Musik als Leidenschaft, Wunschtraum und Fluch, als Katalysator des Übersinnlichen und als Auslöserin von Katastrophen – all diese Motive wandern durch die zwanzig Novellen, aus denen György Dragomán seinen mächtigen Löwenchor zusammengestellt hat.“ (Suhrkamp)
Jean-Baptiste Del Amo – Tierreich, aus dem Französischen von Karin Uttendörfer
„Während Europa von Kriegen und Umwälzungen erschüttert wird, kämpft eine Familie von Schweinezüchtern um ihr Fortbestehen – und nutzt die in immer größerem Maßstab stattfindende Ausbeutung des Rohstoffs Tier, um sich in unsere heutige, hochindustrialisierte Welt hinüberzuretten. Éléonore, Kind eines kranken Vaters und einer lieblosen Mutter, erbt Anfang des 20. Jahrhunderts von ihren Vorfahren Schweine und die Gewissheit, dass Gewalt gegen Mensch und Tier zum Leben dazugehört. Mit Disziplin und unbändiger Härte gegen sich selbst allen Schicksalsschlägen trotzend, hält sie den landwirtschaftlichen Betrieb aufrecht und versteht es, ihn über die Jahrzehnte hinweg zu vergrößern und später ihrem Sohn Henri zu übergeben. Achtzigjährig erlebt die erschöpfte Matriarchin schließlich, wie dieser mit ihren Enkeln Serge und Joël den familiären Zuchtbetrieb zu einer gigantischen, die Ressource Tier grausam ausbeutenden Tierfabrik ausbauen. Das anonymisierte Elend der Schweine spiegelt nicht nur den Wahnsinn dessen, was die Menschheit unter Fortschritt versteht, sondern wirft auch die Frage auf: Wer sind die eigentlichen Bestien?“ (Matthes & Seitz)
Gabriela Adameșteanu – Verlorener Morgen, aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme
„Die rumänische Suche nach der verlorenen Zeit. Die große Kunst des europäischen Erzählens im 20. Jahrhundert. Ein Klassiker, erstmals aus dem Rumänischen ins Deutsche übertragen von Eva Ruth Wemme. Der Roman Verlorener Morgen umfasst bewegte Zeiten, seine Handlung deckt das gesamte »kurze« 20. Jahrhundert ab. Seine Stimmen tragen durch die Jahrzehnte: Es entsteht eine panoramatische Geschichte eines ganzen Landes, gespiegelt in den Erlebnissen von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Von der Gossensprache über die Rhetorik der Staatspropaganda bis zu den Resten einer vergangenen Bildungsbürgerlichkeit, von Bewusstseinsströmen bis zu brillanten Dialogen zieht Gabriela Adameşteanu alle Sprachregister.“ (Die Andere Bibliothek)
„Bei aller Virtuosität des Romankonstrukts und der Vielfalt an verwendeten Erzählperspektiven stört dann irgendwann doch die weit ausholende Erzählweise, anders als bei Proust ist die Textflut hier nämlich nüchtern und sachlich, also nicht poetisch und schöngeistig. Als langatmiges Epos allenfalls für rumänisch orientierte Leser zu empfehlen.“ (Literaturzeitschrift.de)
„Bei Verlorener Morgen handelt es sich zweifellos um ein Meisterwerk der europäischen Erzählkunst. Kühn ist schon die Komposition des umfangreichen und vielstimmigen Romans.“ (Süddeutsche Zeitung)
„Sie hat den schärfsten Blick auf ihre Heimat: Gabriela Adameşteanu kehrt mit gleich zwei Romanen auf den deutschen Buchmarkt zurück. Erzählgeschick und Stilgefühl machen beide zu Meisterwerken.“ (FAZ)