Cosplayer-Debatte: Nicht die Bunten sind eine Gefahr, sondern die Braunen!

Leipziger Buchmesse 2017 lbm17 Buecherherbst Buecherblog

Nachdenklich, kreativ, vielseitig, innovativ, konservativ, progressiv, träge, krawallig, rasant, umarmend, europäisch, weltoffen und verbindend – das alles (und sicherlich noch vieles mehr) ist die Leipziger Buchmesse. Zusammengefasst: bunt. Manchem allerdings anscheinend zu bunt. Zumindest legt dies die Bilanz von Literaturredakteur Carsten Otte beim SWR nahe („Kein Ort für nackte Hasen„), der kritisiert, dass das „heterogene Konzept zwischen Buchmesse und Messefasching“ nicht mehr funktioniere. „Literarische und politische Diskussionen, emphatische Appelle für die Meinungsfreiheit, berührende Wortmeldungen von Schriftstellern, die unter Zensur und Zumutungen von diktatorischen Regimen zu leiden haben, passen nicht zum Klamauk und kulturindustriellen Hokuspokus der parallel stattfindenden Manga-Convention.“

So wurde im Anschluss an die Messe nicht über die vielen interessanten Veranstaltungen diskutiert, sondern einzig darüber, ob die bunte Welt der Cosplayer vereinbar sei mit den aufrüttelnden, politischen Beiträgen im Programm der Buchmesse. Besonders störte Otte sich daran, dass „Teenies vor den Fotoapparaten zumeist mittelalter Herren viel Bein und viel Brust zeigen, […und] minderjährige Cosplayer Gefallen an pornographischen Posen finden“. Dies würde zum „Hohn auf den Rest der Messe“.

Vielleicht mag es für manche Besucher dringenden Redebedarf geben, wie „nackt“ minderjährige Menschen herumlaufen „dürfen“. Zunächst einmal: In all den Jahren, in denen ich zu einer der beiden großen Buchmessen gehe, habe ich viel Bewunderung für die Kreativität und den Mut der Cosplayer (ja, ich würde es mich nicht trauen, mich so außergewöhnlich zu verkleiden) übrig gehabt, aber mich nie an der vermeintlichen Nacktheit gestört – vielleicht war mein Blick zu ignorant. Ein interessanter Nebenaspekt des SWR-Artikels ist die Bebilderung: Journalistisch würde man hier von einer klassischen Text-Bild-Schere sprechen. Denn auf keinem der drei verwendeten Fotos ist eine Person zu sehen, die annähernd nackt ist. Außer, nicht bedeckte Arme oder ein nicht bedeckter Rücken gelten inzwischen als „nackt“.

Völlig fehl am Platz ist jedoch die Behauptung, diese bunte Welt sei ein Hohn für die ernsthaften Themen. Denn wer bei der Anfahrt zur Leipziger Buchmesse in den Straßenbahnen jüngeren oder auch älteren Cosplayern zugehört oder sich mit ihnen unterhalten hat, konnte feststellen, dass sie sich neben dem großen Meet & Greet auch ernsthaft über die wichtigen Aspekte der Buchmesse, also die Freiheit in Wort und Schrift, Gedanken machten. Eine kluge Erwiderung zu Ottes „Bilanz“ hat Margarete Stokowski auf Spiegel Online geschrieben („Auch nackte Hasen sind politisch„), in der sie zu dem Fazit kommt, dass es auch künftig so bleiben werde, „dass es einerseits um sehr ernste Dinge geht und irgendwo daneben Leute Glitzerperücken tragen und Selfies machen. Sie stehen auch für die Freiheit, über die wir reden.“ Übrigens haben sich sowohl Leipziger Buchmesse (Statement der Leipziger Buchmesse zum SWR-Beitrag „Kein Ort für nackte Hasen“ vom 27. März 2017) als auch Frankfurter Buchmesse eindeutig pro Cosplayer positioniert.

Wenn junge Menschen ausgefallen kostümiert über die Messe laufen, ist doch auch dies ein politisches Statement: Sie lassen sich nicht vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben – nicht von der Obrigkeit und nicht von der Spießigkeit. Ähnlich ist auch der neuzeitliche Karneval an der Rheinschiene entstanden und wird vielerorts noch heute für Kritik an den Herrschenden oder gesellschaftlichen Zuständen genutzt. Hier käme niemand auf die Idee, dass Verkleidete unpolitisch wären oder ihre Verkleidung (auch hier ist es mal mehr und mal weniger Verkleidung) ein Hohn auf die politische Botschaft und deren Ernsthaftigkeit sei.

Eine Frage, die sich mir beim Lesen von Ottes Cosplayer-Kritik viel mehr aufdrängte: Warum sucht er nicht nach den wirklich unpassenden Zuständen auf der Buchmesse? Denn nach wie vor ist beispielsweise der Compact-Verlag prominent und in Übergröße vertreten. Hierbei handelt es sich wahrlich nicht um einen „gesellschaftskritischen“ Verlag, sondern mindestens um einen rechtspopulistischen Verlag respektive ein rechtspopulistisches Magazin, das hier erscheint. Manche stufen die Veröffentlichungen gar eher als rechtsnationalistisch oder teils rassistisch ein, mit dem starken Hang zu Verschwörungstheorien.

Sind nicht viel mehr solche Stände und Verlage ein Hohn auf die anderen Messeauftritte, welche sich mit ihren politischen Statements für die Freiheit des Wortes und der Menschen einsetzen? Gerade das mit AfD und Pegida vernetzte Compact bekämpft doch mit allen Mitteln die Freiheit, insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit. So ist beim ZEIT Störungsmelder davon zu lesen, dass im Rahmen von Compact-Veranstaltungen Fotografen und Journalisten eingeschüchtert und zum Teil vom Compact-Mitarbeiter körperlich bedrängt wurden („Streit um Compact auf der Leipziger Buchmesse„). Der Autor schildert es eindringlich: „Zwei schwarz gekleidete Männer im Türsteherformat bedrängen ihn [Anm.: den Journalisten] und fordern das Löschen der Bilder. Als der Journalist auf die Pressezugehörigkeit verweist, seine Kamera schützt und wenige Schritte zurücktreten will, werden die nicht als Sicherheitspersonal gekennzeichneten Männer übergriffig: Sie nehmen den Fotografen in den Schwitzkasten, schlagen auf seine Kamera ein und zerren ihn aus einem Seiteneingang der Halle. Am Vortag spielten sich ähnliche Szenen ab: Am Rande einer anderen Diskussionsrunde des Magazins wurden zwei Journalisten vom Sicherheitspersonal des Standes bedrängt. Einer der Fotografen brach die Arbeit eingeschüchtert ab, ein anderer wurde minutenlang durch die Halle verfolgt. Letztlich erklärte er sich bereit, dass Material zu löschen.“

Wer also – wie SWR-Redakteur Carsten Otte – die ernsthafte Diskussion um gesellschaftlich relevante Themen im Rahmen einer Buchmesse in Gefahr sieht, sollte die wahren Gefährder benennen, nämliche jene, die Rede- und Meinungsfreiheit am liebsten abschaffen und möglichst viele Hilfe suchende Menschen wieder ausweisen würden. Nicht die durchaus politisch interessierten und bunt verkleideten Jugendlichen sind eine Gefahr für den Diskurs oder die Buchmesse im Allgemeinen, sondern die Braunen, die eine Buchmesse lediglich als Plattform sehen, um gegen die Freiheit zu agitieren.

6 Kommentare zu “Cosplayer-Debatte: Nicht die Bunten sind eine Gefahr, sondern die Braunen!

  1. Super Artikel. Es freut mich, dass sich so viele dazu berufen fühlen das Thema über die „Kritik“ am Cosplay aufzugreifen. Je mehr ihre Meinung verdeutlichen und zeigen, was wirklich wichtig ist, desto eher verschaffen wir uns ein Gehör.
    Liebe Grüße
    Sarah

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    • Man muss nicht einmal dem Cosplay nahe stehen, aber trotzdem kann man all diesen – zumeist jungen – Menschen Respekt entgegen bringen. Es muss ja nicht das Äußere sein, das verbindet, doch ohne sie zu kennen, ihnen von vornherein die Empathie für wichtige Themen abzusprechen, ist platt und unqualifiziert.

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  2. viele dieser Jugendlichen nahmen übrigens auch gerne die UZ (sozialistische Wochenzeitung) mit . Soviel zum Thema, jene würden nur noch in ihrer kleinen bunten Mangawelt leben. Da stecken auch nur Menschen dahinter …

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    • Absolut richtig. Warum sollten Cosplayer sich nicht für den weltlichen Alltag interessieren? Sie leben ihre Leidenschaft bei Veranstaltungen wie der Buchmesse nur auch durch ihre (Ver-)Keidung aus. Es ist letztlich wirklich absurd, vom Äußeren Rückschlüsse auf die Einstellung, das politische Interesse oder das gesellschaftliche Engagement zu ziehen.

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