Es braucht nicht viel, um glücklich zu sein

alex-capus-leben-ist-gut-buecherherbst-buecherblog-rezension-prisman-hanser-verlagAlex Capus stand wahrscheinlich eines Abends in seiner Kneipe, schenkte das eine oder andere Getränk aus, lauschte den Geschichten der Stammgäste und fühlte tiefstes Wohlbehagen. Dies könnte ihn dazu gebracht haben, ein Buch über dieses Empfinden zu schreiben. Über die Begegnung zwischen Menschen, über Freundschaft, Zuneigung und die innere Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Das Leben ist gut ist ein langer Liebesbrief an das Zwischenmenschliche und die Geselligkeit.

Hauptprotagonist Max ist genauso wie Capus Kneipier und darüber hinaus ebenfalls Schriftsteller. Wie Capus hat auch Max mehrere Kinder (wobei die Anzahl an Kindern zwischen Autor und seinem Protagonisten variiert). Während Capus in seinen anderen Romanen eher auf Fiktion oder Historie – und die Korrektheit der integrierten historischen Begebenheiten – zurückgegeriffen hat, liegt bei Das Leben ist gut die Vermutung nahe, dass der Roman starke autobiografische Züge in sich trägt. Die Sevilla Bar in Max‘ Heimatstadt, in der er sich „wohl wie ein Eber im Schweinekoben“ fühlt, ist Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Hier trifft man Menschen aller Couleur, ein Querschnitt der Gesellschaft.

Für Max reicht diese Umgebung, um sich wohl zu fühlen, für ihn ist das Leben gut so, wie es ist. Veränderung bedeutet für ihn eher Stress. Ihm genügt es, durch die Erzählungen der Kneipenbesucher in eine andere Welt einzutauchen. Er ist der Bierzapfer, der ein offenes Ohr für seine Gäste hat; er ist der Beobachter und Zuhörer in „diskreter Anteilnahme“. Auch seine Söhne würde er am liebsten auf ewig vor der Welt beschützen, doch er weiß selbst, dass die Versuchungen des Lebens zu groß sind. Aber ist es eigentlich wirklich eine gute Welt, in der Väter Angst haben, wie und in welcher Welt ihre Kinder aufwachsen?

Man muss realistisch sein, das Leben geht weiter; zumindest bis es vorbei ist.

Ganz anders empfindet es Max‘ große Liebe, seine Frau Tina. Sie möchte raus aus dem Kaff, raus aus dem öden Alltag. Sie entflieht diesem Mikrokosmos, indem sie eine Gastprofessur in Paris antritt – wahrscheinlich das maximale Gegenteil einer Schweizer Kleinstadt. Während Max sich am Rotmilan im Idyll erfreut, zieht es Tina zu neuen Abenteuern. Vielleicht führt die Vertrautheit die Menschen wirklich eher zum Seelenfrieden, als die ständige Suche und das Ausbrechen aus dem Gewohnten. Deshalb kramt Max gerne in Erinnerungen. Er ist eher der Antiheld, ein „umgekehrter Odysseus“. Tina hingegen strebt nach Perfektion, hadernd mit ihrer eigenen Unvollkommenheit und derer der anderen Menschen. Dessen ungeachtet gibt es etwas, das die Beiden zusammenhält: die Liebe. Trotz Reibungspunkten und konträren Einstellungen.

Capus betreibt mit seinen Akteuren zugleich Charakterstudie als auch Anthropologie im Mikrokosmos. Vielleicht ist er als Wirt hierzu gar besser geeignet als jeder Psychologe. Schließlich öffnen sich viele Menschen bei einem Bier am Tresen wahrscheinlich eher, als in einer Stresssituation mit gewissen Erwartungshaltungen beim Therapeuten. Doch wann ist das Leben wirklich gut? Hierauf hätten wohl nicht nur Capus und Therapeut verschiedene Antworten, nicht nur Max und Tina, sondern jeder Einzelne beantwortet die Frage für sich völlig unterschiedlich. Mit viel Charme und Witz zeigt Capus, wie wenig man braucht, um glücklich zu sein, und zugleich, wie absurd vergleichsweise die Entwicklung der Gesellschaft ist – es muss immer mehr sein. Auch ohne große effekthascherische Handlungsstränge erzählt Capus eine kurzweilige Geschichte, die Spaß bereitet in der Schlichtheit.

Ich mache, weil ich will. Weil es mir Spaß macht. Denn das Schöne, glaube ich, entsteht nicht aus Notwendigkeit, sondern ihr zum Trotz.

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