Ich bin erwachsen – egal, wie sehr ich mich bemühe, Kind zu bleiben. Ich sehe eindeutig einen Hut, obwohl doch eigentlich eine Schlange, die einen Elefanten als Ganzes verschlingt, zu erkennen ist. So durchdringend und doch zugleich diffizil beginnt Antoine de Saint-Exupéry sein Meisterwerk Der kleine Prinz. Man sollte viel häufiger diese tiefsinnige, wundervolle Geschichte lesen – es ist stets der richtige Moment, um nochmals das Buch aus dem Regal zu nehmen.
Zuletzt habe ich Der kleine Prinz gelesen, als ich gedanklich niemals auf die Idee gekommen wäre, mich selbst als erwachsen zu bezeichnen. Unumwunden stellt sich die Frage: Habe auch ich die Fantasie der Kindheit unbemerkt verloren? Vielleicht hat man als Erwachsener einen zu harten Blick auf die Welt und betrachtet sie oftmals viel zu kühl, statt in fantasievollen Gedanken zu versinken. Sicherlich macht mir das Bild der den Elefanten verschlingenden Schlange keine Angst, aber die Fantasielosigkeit des Alltags dürfte dies durchaus. Brauchen Erwachsene wirklich immer eine Erklärung? Sind sie nicht mehr in der Lage, über das Naheliegende hinaus ihre Vorstellungskraft zu gebrauchen?
„Wenn das Geheimnis zu eindrucksvoll ist, wagt man nicht zu widerstehen.“
Auch der Ich-Erzähler der Geschichte Saint-Exupérys muss erst begreifen, dass nicht das Exakte das eindeutigste Ergebnis liefert, damit sich zwei Menschen verstehen. Der kleine Prinz lässt ihn erkennen – er soll ihm ein Schaf malen –, dass die Vorstellungskraft dazu führt, damit Beide das gleiche Bild vor Augen haben. Bis heute hat sich (leider) die Feststellung, die „großen Leute“ hätten einzig eine Vorliebe für Zahlen, nicht verändert – ganz gleich, ob im Persönlichen (Alter, Größe, Gewicht) oder bei den großen Krisen der Welt (Kontostand, die Anzahl an Flüchtlingen, die Kosten für eine Veranstaltung) –, selten geht es um das „Wesentliche“: „Wie ist der Klang seiner Stimme?“
„Es ist traurig, einen Freund zu vergessen“
Der kleine Prinz zeigt dem Erzähler, dass auch er sich ähnlich den Erwachsenen mit den eher oberflächlichen Dingen beschäftigt, statt über Wesentliches nachzudenken, wie die Frage, warum Blumen eigentlich Dornen haben. Insbesondere in der heutigen schnelllebigen Welt vergisst man nur zu einfach, was wirklich zählt und was eher zu vernachlässigen ist. Zu schnell wird vormals als wichtig Erachtetes im nächsten Moment als irrelevant betrachtet. „Wenn einer eine Blume liebt, die es nur ein einziges Mal gibt auf allen Millionen und Millionen Sternen, dann genügt es ihm völlig, daß er zu ihnen hinaufschaut, um glücklich zu sein. […] Wenn aber das Schaf die Blume frißt, so ist es für ihn, als wären plötzlich alle Sterne ausgelöscht!“ Erst als der Erzähler merkte, wie traurig er den kleinen Prinzen mit seiner Ignoranz gemacht hat, beachtet er nicht mehr das Materielle, sondern tröstet den Prinzen.
„Es ist viel schwerer, sich selbst zu verurteilen, als über andere zu richten.“
Es war wirklich schön, dass Buch nochmals zu lesen, und ich kann allen nur empfehlen, sich die Zeit hierfür zu nehmen, sich gemeinsam mit dem Prinzen auf die Reise zu den Planeten zu begeben und kurz über das Wunder und den Sinn des Seins sowie die Bedeutung in der heutigen Zeit nachzudenken.
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